Aber während das Thema im Tal möglichst totgeschwiegen wurde und wird, entschied sich der Alpenverein für die Flucht nach vorne. Aufklärung und Bewusstseinsbildung sowie eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit sollten auf das Problem aufmerksam machen und gemeinsam zu Lösungen führen.
Ein Hoch auf das Himmelbett
Robert Kolbitsch hat sein Engagement den Beinamen „Bettwanzenbob“ eingebracht, worüber er nur bedingt lachen kann, denn das Problem sei heute, drei Jahre später, größer als je zuvor: „Wir werden von den Bettwanzen links überholt!“ Und das kann auf einigen Hütten auch gleich wörtlich verstanden werden, denn tut man nichts gegen einen Befall, vermehren sich die Lästlinge innerhalb von nur sechs Wochen explosionsartig. Nächtliche Erkundungstouren einzelner Hüttenwirtsleute mit der Taschenlampe sorgen regelmäßig für Gänsehaut. Sie können Schauergeschichten von Bettwanzen erzählen, wie sie in Scharen aus den Holzrissen der Wände krabbeln, an Bettbeinen hochkriechen und sich sogar von der Decke auf die Betten fallen lassen. Das Himmelbetten in früheren Zeiten recht beliebt waren, könnte daher durchaus mit fallenden Bettwanzen zusammenhängen, was der weit verbreiteten romantischen Vorstellungen einen kleinen Dämpfer versetzt.
„Wir haben Bettwanzen“
Dass das Problem mit den Bettwanzen eben keinesfalls mit fehlender Hygiene zu tun hat, beweist eine Hütte, die erst 2017 generalsaniert und mit einem Zubau versehen wurde. In der Hütte ist alles neu, tiptop und sauber. „2018 war ich auch bei dieser Infoveranstaltung, und dachte mir, ‚Ja, ja Wanzen, das ist ein Problem alter Hütten, das werden wir nie haben.’ Und dann kam 2019.“ Die Hüttenwirtin der besagten Hütte steht vor dem Publikum und erzählt aus erster Hand, was sich im vergangenen Sommer auf ihrer Hütte abgespielt hat. Dreimal sei die Hütte komplett von einer entsprechenden Schädlingsbekämpfungs-Firma behandelt worden, dreimal waren die Wanzen schon nach kurzer Zeit wieder da. Für die Hüttenwirtin war klar, hier muss aktiv etwas gegen den ständigen Neubefall getan werden. Kommen nun Übernachtungsgäste an, dann werden sie gleich einmal mit einem „Wir haben Bettwanzen“ begrüßt und in die Maßnahmenliste eingeweiht:
Rucksäcke dürfen nicht mit auf die Zimmer genommen werden, sondern müssen ausnahmslos im Trockenraum, in dem es eine Temperatur von 50° Celsius hat, abgestellt werden.
Dinge für die Nacht dürfen nur in eigens bereit gestellte Plastikboxen mit Deckel in die Zimmer mitgenommen werden.
Hüttenschlafsäcke müssen vor und nach der Nacht in die dafür extra angeschaffte Mikrowelle gegeben werden. Wer einen Seidenschlafsack – ev. sogar mit Metallteilen hat –, der in der Mikrowelle Schaden nehmen würde, bekommt einen Baumwollschlafsack geliehen.
Mit dem Argument „Sie wollen bestimmt keine Wanzen mit nach Hause nehmen, oder?“, akzeptiere der Gast alle diese Maßnahmen sehr gut, so die Hüttenwirtin.
Zusätzlich werde ständig gesaugt, geputzt, gewaschen… möglich, weil die Hütte über ausreichend Strom und Wasser verfügt. „Der Personalaufwand ist enorm und entspricht praktisch einer zusätzlichen Vollzeitanstellung“.
Hüttenwirtsleuten wie jener dieser Hütte ist es gelungen, mit ihrer offensiven und konsequenten Herangehensweise nicht nur die Wanzen im Griff zu haben, sondern auch die Gäste zu sensibilisieren. Das gehe sogar so weit, dass sie auf den Nachbarhütten schon von selbst nach den Wanzenmaßnahmen fragen würden.
So lange treffen, bis Lösungen gefunden werden
„So eine aktive Hüttenwirtin kann man sich als Sektion nur wünschen, aber es muss noch mehr getan werden, denn die Wanzen fressen den Gewinn einer Hütte schlicht auf und es wird immer schwieriger, Hüttenwirte zu finden, die sich das alles noch antun“, ist die 1. Vorsitzende einer betroffenen Sektion überzeugt. Es kämen sogar Anfragen, wie „Kann man auf die Zugspitze gehen, oder gibt’s da Wanzen?“ Man müsse sich daher solange treffen, bis praktikable Lösungen gefunden würden, die den Hüttenwirtsleuten tatsächlich etwas bringen und die Wanzen auf ein erträgliches Maß eindämmen würden.
Der Deutsche Alpenverein hat in Kooperation mit dem Österreichischen Alpenverein (ÖAV) schon einiges bewirkt: so wurden etwa gemeinsam mit dem Deutschen Umweltbundesamt zwei Folder aufgelegt – einmal für die Hüttenwirtsleute, die alles rund um die Bettwanzen wissen sollen – und einmal für die Gäste, damit auch sie wissen, worauf sie sich einstellen müssen. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit stehen also an erster Stelle.
Name | Größe |
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Flyer "Bettwanzen wandern mit" |
Jetzt geht es aber darum, konkret Lösungen zu finden, denn die – meist chemischen – Behandlungen ganzer Hütten kosten enorm viel Geld und bringen im Endeffekt nichts, wenn im Handumdrehen wieder Wanzen von anderen Hütten oder aus dem Tal eingeschleppt werden.
Zwei Maßnahmen sollen daher in der nächsten Wandersaison getestet werden:
Kieselgur gegen die Wanzen
Dr. Arlette Vander Pan und ihre Kollegin Dr. Anne Krüger, früher beide beim Deutschen Umweltbundesamt tätig, als Expertinnen seit 2017 zum Thema Bettwanzen eng mit dem DAV in Verbindung und mittlerweile selbstständig, werden auf fünf Hütten sowohl eine spezielle Monitoringfalle als auch ein Kieselgurprodukt testen. Kieselgur ist ein natürliches Material, das aus fein zerriebenen Muschelschalen besteht. Es wirkt vor allem physikalisch, weil es den Chitinpanzer der Wanzen angreift. Aber erst ein echter „Feldversuch“ könne beweisen, ob die Anwendung im großen Stil Sinn mache.
Prophylaxe ist das A und O
An den ÖAV ist hingegen der TÜV-Austria herangetreten. Dipl.-Ing. Christian Fleischer ist überzeugt: „Nur mit Prophylaxe kann das Problem der Bettwanzen langfristig in den Griff bekommen werden.“ Außerdem sei es wichtig, dass die Hüttenwirtsleute nachweise können, dass sie alles erdenklich Mögliche gegen den Befall getan haben, um allfällige Beschwerden von sich fernhalten zu können. Fleischer kann sich vorstellen, dass die entsprechenden Hütten mit einem TÜV-Siegel „garantiert wanzenfrei“ oder so ähnlich versehen werden.
Peter Kapellari, Referatsleiter Hütten und Wege vom ÖAV, ist begeistert und viele andere im Raum ebenso.
Zu schön, um wahr zu sein? Für Dr. Arlette Vander Pan auf jeden Fall, zudem Dipl.-Ing. Christian Fleischer nicht verraten möchte, um welchen chemischen Stoff, der für eine Vernebelung eingesetzt werden soll, es sich handelt. Er sei zur Geheimhaltung aufgefordert worden. Nur so viel kann er sagen: „Der Stoff wirkt präventiv, wird also auch auf Hütten eingesetzt, die noch – oder wieder – wanzenfrei sind. Die Vernebelung findet alle 4-6 Wochen unabhängig von einem Befall statt.“ Und selbstverständlich würde es sich um ein offiziell zugelassenes Biozid handelt, dass weder der Umwelt noch die menschliche Gesundheit beeinträchtige.
Für Dr. Arlette Vander Pan immer noch zu wenig an Erklärung, denn
Jedes Biozid, dass Wanzen bekämpfen könne, sei jedenfalls ein Nervengift.
Es sei bekannt, dass auch wenn alle vorangegangenen Untersuchungen bis zur Zulassung positiv abgeschlossen wurden, es immer Personen gibt, die auf Biozide reagieren.
Eine Vernebelung benetze alle Oberflächen, von der Bettdecke bis zum Tisch und Lebensmittel.
Gift dürfe in der EU ausschließlich anlassbedingt zum Einsatz kommen – also wenn auch nachweislich ein Befall vorhanden ist – und keinesfalls präventiv.
Und schließlich bleibe noch die latente Gefahr der Resistenzbildung.
Da Dipl.-Ing. Fleischer aber zu diesem Zeitpunkt noch keine Angaben zum Biozid selbst machen kann, müssen diese kritischen Fragen vorerst offenbleiben.
Mühsam, aber nicht unmöglich
Auf jeden Fall geht der Alpenverein mit seiner offensiven Herangehensweise in die richtige Richtung. Es wird verschiedene Wege geben, das Problem Bettwanzen in den Griff zu bekommen. Wie schon die Berichte der Sommersaison 2019 zeigen, ist es mühsam, aber nicht unmöglich. Und wenn jetzt noch weitere effektive Methoden dazu kommen, sei es das Ausbringen von Kieselgur oder die prophylaktische Vernebelung eines neuen Biozids, so wird der Alpenverein bald eine ganze Palette an Maßnahmen an der Hand haben und, wer weiß, vielleicht sogar eine echte Vorreiterrolle in der Bekämpfung der Bettwanzen einnehmen.
Beitrag von Christina Schwann, ökoalpin