"Ich bin heilfroh", sagt Herbert Ofer hinter der Empfangstheke, während die nächsten Gäste mit ihren Rucksäcken und Stöcken gerade noch rechtzeitig vor dem Gewitter in die Hütte stolpern und sich nach dem gebuchten Schlafplatz erkundigen. Der Pächter der Neuen Regensburger Hütte freut sich über den Umbau der 1930 erbauten, denkmalgeschützten Hütte und den im Sommer 2019 fertiggestellten Anbau, der das alte Nebengebäude ersetzt. "Früher hatten wir im Keller zwei Duschen für 80 Leute und wenige Waschbecken, jetzt haben wir neue Waschräume und neue Zimmer." Die Neue Regensburger Hütte lebt vom Stubaier Höhenweg, der längst ein Selbstläufer ist und sogar internationales Publikum anzieht. Doch abseits davon gibt es andere schöne Steige wie den von der Milderaunalm über den Ring, auf denen man die Hütte erreichen kann.
Postkartenblick auf die Stubaier Dreitausender
Eine traumhafte, überraschend einsame Tour, auf der man anfangs auf einem Forstweg im dichten Wald an Höhe gewinnt – und dann mit Postkartenblick auf die vergletscherten Stubaier Dreitausender immer oben entlangläuft. Im hohen Gras unter den Lärchen und Zirben verstecken sich überall Schwammerl, die wir schweren Herzens stehen lassen. Denn der Rucksack ist voll und auf dem Weg ins Ötztal sind wir noch mehrere Tage unterwegs. Doch für das Blaubeerbuffet legen wir gerne eine Pause ein – aber nur kurz, denn der Weg zieht sich, und für den Nachmittag sind Gewitter vorhergesagt. Also weiter, auf teils schmalem Steig hinauf zum Ring, einer Aussichtskanzel hoch über dem Stubai und vis-à-vis vom Habicht. Und hinüber zur Neuen Regensburger Hütte, die wir kurz vor dem ersten Regenschauer erreichen.
Sonnig und hell ist dagegen der nächste Morgen, keine Wolke am Himmel – und niemand unterwegs. Nur Martina, die Hüttenwirtin, war schon draußen. "Ich genieße jeden Morgen den Sonnenaufgang", erzählt sie, "da habe ich meine Ruhe." Und Zeit für ein paar Fotos, die die Speisekarte schmücken. "Ich fotografiere recht viel, aber ich tue es eigentlich nicht gern", gibt sie zu. "Das ist genauso wie Kuchen backen; ich backe viel, ich mach’s nicht so gern – aber sie gelingen." So wie die Käsesahne, der Hüttenklassiker.
Während Martina backt, starten wir in Richtung Dresdner Hütte. Ein paar Trailrunner überholen uns auf dem traumhaften Weg durch einen Wiesenboden, in dem der von einem Gletscher gespeiste Bach mäandert – und ein paar Schafe neben üppig blühendem Wollgras frühstücken. Nach dem Grün wird es karg, wir wechseln ins Geröll, folgen den Markierungen und entdecken unter großen Blöcken letzte Eisreste. Ein teilweise gesicherter Steig führt überraschend gut durch den steilen Hang unter der Grawagrubennieder und damit vom Schatten in die Sonne. Moränen erinnern daran, dass einst der Grawandferner unter der Ruderhofspitze bis unter den Sattel reichte.
Gar nicht mehr ewiges Eis
Der Stubaier Höhenweg führt hier durch eine von Eis geformte Landschaft. Mit jedem Meter bergab wird es grüner, alle paar Meter plätschert Wasser, und wer einen wirklich idyllischen Platz aufsuchen möchte, der sollte keinesfalls den kurzen Gegenanstieg zum Mutterberger See versäumen. Nach einem anstrengenderen Gegenanstieg geht es endgültig bergab zur großen, vielbesuchten Dresdner Hütte.
Egal wie man es dreht und wendet, auf der Etappe zur Hildesheimer Hütte berührt man zwangsläufig das Skigebiet des Stubaier Gletschers. Auch ohne Skibetrieb zieht es in diesen heißen Sommern viele Urlauber*innen in kühlere Höhen, wo die Temperaturen zwar erträglich, dafür die Aussichten gar nicht rosig sind. Als Skifahrer kennt und schätzt man den Stubaier Gletscher, doch wer am Ende eines heißen Sommers auf die traurigen Eisreste blickt, der kommt ins Grübeln. Ein ausgeaperter Gletscher sieht nie schön aus, doch was man dort sieht, verschlägt einem dann doch die Sprache: Kaum zu glauben, wie viel Dreck sich auf dem Eis angesammelt hat. Unverständlich, warum kaputte Bierbänke gleich neben der Bergstation Eisgrat nicht einfach weggeräumt werden. Die dunklen Gewitterwolken, die zügig in den Himmel wachsen, passen zur düsteren Stimmung auf dem sterbenden Gletscher, wo immer mehr Felsinseln mitten im gar nicht mehr ewigen Eis auftauchen.
Die Hildesheimer Hütte boomt
Auf der Hildesheimer Hütte scheint wieder die Sonne: Das Gewitter hat sich verzogen, und Gustav Fiegl, der seit 28 Jahren die Hütte bewirtschaftet, hat ein Gespür für den perfekten Umgang mit seinen Gästen. "Für mich ist es das Schönste, wenn ich mit den Leuten reden kann", sagt Gustav. Nur eins stört ihn: "Alle haben ein Handy, das ist eine Katastrophe." Natürlich kann er nichts dagegen sagen, schließlich spielen damit auch seine Kinder, aber das Hüttenleben leidet darunter. "Früher haben wir Hüttenabende gemacht, wo man gesungen hat", erinnert er sich, "das gibt’s heute nicht mehr. Die Gitarre in der Stube hängt mehr, als dass auf ihr gespielt wird." Dafür kommen immer mehr Wandernde auf die Hildesheimer Hütte, vor allem seitdem die Hüttenrunde "Söldens stille Seite" in DAV Panorama vorgestellt wurde. "Ich hätte nie gedacht, dass die Geschichte so einen Boom auslöst", wundert Gustav sich noch heute. Noch mehr freut er sich allerdings über den im Sommer 2019 fertiggestellten Anbau mit neuen Zweier- und Dreier-Zimmern. "Die Zahl der Schlafplätze hat sich nicht erhöht", erzählt Gustav, "wir haben jetzt weniger Lager, aber dafür etwas mehr Komfort." Davon profitieren auch die Wirtsleute. "In unserem alten Zimmer haben wir jeden Ton gehört – und jetzt im Neubau genießen wir die Ruhe." Die genießen wir auch.
Beim Übergang zur Siegerlandhütte sind wir erst einmal komplett allein unterwegs. Zumindest fast, denn beim Anstieg zum Gamsplatzl entdecken wir Steinböcke, die uns neugierig beobachten. Über vom Gletscher glattgeschliffene Felsrücken und viel Geröll erreichen wir den Übergang – und freuen uns über neue Ausblicke. Eindrucksvoll die Sonklarspitze mit ihrem Hängegletscher und dem immer noch großen Triebenkarlasferner, wunderschön der Triebenkarsee, faszinierend das Gletschervorfeld, in dem die Vegetation langsam Fuß fasst. Wer flott unterwegs ist, der braucht nur gut drei Stunden zur Siegerlandhütte. Zu wenig für eine Tagesetappe, doch Raimund Gritsch beruhigt. "Die meisten brauchen länger", weiß der Hüttenwirt, "außerdem gibt es mit dem Scheiblehnkogel noch einen lohnenden Gipfel." Als Bergführer war Raimund schon immer viel auf Hütten unterwegs, als Pächter lernt er die andere Seite kennen – und wundert sich über die Erwartungshaltung einiger Gäste. "Auf der einen Seite suchen sie die Ruhe und Einsamkeit – und dann fragen sie nach WLAN. Und beschweren sich über fehlende Steckdosen oder über Zimmer ohne Licht."
Der nächste Tag beginnt ungewohnt. Statt bergauf geht es erst einmal bergab, hinaus ins kilometerlange Windachtal. Schöner wäre es natürlich, wenn man oben entlanglaufen könnte. Damit wäre auch eine großartige Umrundung des Windachtales möglich – und die Siegerlandhütte läge nicht mehr abseits, sondern im Zentrum mehrerer Wanderwege. Doch das ist ein Wunschgedanke, und so steigen auch wir ab und wechseln gefühlt vom Berg ins Tal. Umso schwieriger ist es, sich noch einmal zu motivieren für den kraftraubenden Anstieg zum Brunnenkogelhaus. Steil führt der Steig durch den Zirbenwald, der angenehmen Schatten spendet – und so manche Versuchung bereithält. Gleich neben dem Steig entdecken wir die ersten Steinpilze. Noch während wir überlegen, ob sie die letzte Etappe im Rucksack heil überleben, entdecken wir die nächsten. Damit ist die Entscheidung gefallen, wir schaffen Platz im Rucksack und halten beim weiteren Anstieg die Augen offen. Mit der Schwammerlsuche geht die Zeit schnell vorbei, und schon erreichen wir die letzten Zirben und damit die Waldgrenze.
Grandioser Tiefblick ins Ötztal
Kurz darauf müssen wir uns entscheiden: entweder auf direktem Weg zum Brunnenkogel oder mit einem Umweg zum Wannenkarsee. Der zählt zu den schönsten Bergseen Tirols und erinnert mit seiner Färbung eher an die Karibik. Sanfte Wiesen umgeben den See auf der einen Seite, während gegenüber mächtige Blockfelder und sogar ein Blockgletscher bis zum Ufer reichen. Daneben zeigt sich das Gelände gut gangbar, und so steigen wir weglos hinauf zur Wilden Rötespitze – und genießen von dem fast 3000 Meter hohen Gipfel einen grandiosen Tiefblick ins Ötztal. Der weitere Weg ist klar vorgegeben: Immer dem Kamm nach geht es im Auf und Ab zum Brunnenkogel, auf dem in einmaliger Lage das Brunnenkogelhaus thront. Bereits seit dem Jahr 1888 steht auf dem Gipfel ein Schutzhaus. Das alte Steingebäude wurde im Sommer 2007 von der Familie Gstrein durch eine neue, moderne Holzhütte ersetzt. "Wir haben die Hütte zu 98 Prozent perfekt gebaut", freut sich Martin Gstrein noch heute, "nur der Wassertank für das Regenwasser ist etwas zu klein." Das Haus bietet Platz für 24 Personen, doch für den Hüttenwirt ist das ausreichend. "Wenn du größer bist, dann ist jeder Gast eine Nummer", sagt er. "Mir ist lieber, du kannst mit jedem reden." Eine Übernachtung auf dem Brunnenkogelhaus ist der abschließende Höhepunkt der Tour vom Stubai ins Ötztal. Der Rundblick ist grandios – und die Stimmungen einmalig. Auch für Martin: "Man meint, nach 13 Jahren hast du bereits alles gesehen", schwärmt er, "aber es gibt immer wieder spezielle Momente." So wie diesen Abend, an dem sich ringsum die Gewitter entladen und Regenschauer wie Vorhänge den Ausblick verhüllen – während am Brunnenkogel kein einziger Tropfen fällt. Mit Blick auf die Ötztaler Dreitausender steigen wir anderntags ab und wählen bei der malerischen Brunnenbergalm einen kleinen, aber lohnenden Umweg.
Hoch über dem Talboden quert der Steig wie eine Promenade die Hänge, ehe es bei Zwieselstein ein letztes Mal bergab geht und wir bei der Talherberge, einer Selbstversorgerhütte der Sektion Regensburg, die Tour beenden. Und froh sind, dass die Beine endlich Pause haben; zurück ins Stubai geht es ganz entspannt mit Bus und Bahn.
Weitere Impressionen von der Tour vom Stubai ins Ötztal gibt es in unserer Bildergalerie.