Am 23.4.2013 stellte die Polizei Risse in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh fest und verbot, das Gebäude zu betreten. Doch das Management machte Druck, und über 3000 Menschen traten am nächsten Tag zur Arbeit an. Als die Fabrik einstürzte, starben 1135 von ihnen, 2438 wurden verletzt.
Was für Textilien dort hergestellt wurden, ist schwer nachzuvollziehen. Relativ sicher ist, dass die Kampfpreise für „fast fashion“, Billigmode mit bis zu 20 Kollektionen pro Jahr, darauf basieren, dass überall in der „Lieferkette“ an Umwelt- und sozialen Arbeitsstandards gespart wird. Jeder Mensch in Deutschland kauft jährlich im Schnitt 60 Kleidungsstücke. Klimabewusstsein beim Faktor „Kleidung“ hängt also weniger vom richtigen Anorak oder Skitourenstrumpf ab als vom Alltagsleben; ähnliches gilt für viele Lebensbereiche. Aber auch hier können uns die Berge etwas lehren: Nämlich, dass nicht Kleider Leute machen, sondern dass es darauf ankommt, was drinsteckt.
Allen Einflüsterungen der Werbung zum Trotz kann man auch mit den Farben des letzten oder vorletzten Sommers am Berg Freude haben. Und die wesentlichen Stellschrauben für die Ökobilanz von Bergbekleidung sind die Fragen „Brauch ich das überhaupt?“ (→ Vermeidung) und „Wie kann ich meine Klamotten gut und lange nutzen?“ (→ Reduktion). Dazu haben die „Mach’s-einfach-Beiträge“ in DAV Panorama 2/22 und 4/19 Tipps gegeben.
Orientierung bei Siegel-Angeboten
Doch klar ist: Selbst die bestgepflegte Bergbekleidung ist irgendwann am Ende. Umweltbewusste möchten dann beim Einkauf gerne darauf achten, dass das neue Teil unter möglichst guten Bedingungen für die Umwelt und das Produktionspersonal entstanden ist. Schon seit vielen Jahren gibt es dafür Qualitätssiegel, die Sicherheit geben sollen, dass Standards eingehalten werden: etwa Bluesign (insbesondere für Chemikalien im Produktionsprozess), Fairwear (für gute Arbeitsbedingungen), Down Codex (für tierschonende Daunengewinnung), Blauer Engel, GOTS, Fairtrade oder Oeko-Tex.
Vielerlei Entscheidungshilfen – aber: Was sind sie wert? Welchen darf man vertrauen? Welche Aussagen lassen sich daraus ziehen? Das Unglück in Bangladesh war ein Signal für die Politik. Auch in Reaktion darauf ging die Website siegelklarheit.de online, die bis heute die Aussagekraft unterschiedlicher Zertifizierungen bewertet und Überblick vermitteln soll. So gibt es beispielsweise Siegel, die vor allem Umweltkriterien (Chemikalienverwendung, Wasserschutz, Emissionen) ins Visier nehmen, andere fokussieren auf soziale Arbeitsbedingungen, einige kombinieren beides.
2019 initiierte das Bundesentwicklungsministerium den „Grünen Knopf“, der quasi als Dachmarke künftig alle Kriterien und Siegel bündeln soll – mit 26 „Produktkriterien“ und 20 „Unternehmenskriterien“. Produkte müssen also gleichzeitig ökologisch und sozial exzellent sein, um dieses Label zu erhalten.
27 Unternehmen waren von September 2019 an dabei, darunter der DAV-Partner Vaude; 2021 waren es schon 78, neben Lidl, Kaufland, Tchibo oder Aldi viele kleine Produzenten und auch Outdoormarken wie Jack Wolfskin oder Deuter. Bei Vaude hängt mittlerweile an 90 Prozent der Kollektion der Grüne Knopf (außerdem ist die komplette Firma samt Materialien, Herstellung und Logistik seit 2022 klimaneutral und will bis 2024 zu 90 Prozent recycelte oder biobasierte Rohstoffe verwenden). Der Grüne Knopf habe die gesellschaftliche Diskussion über Nachhaltigkeit bei Bekleidung angeregt, sagt Vaudes Pressesprecher Benedikt Tröster.
Probleme mit sozialer Verantwortung
Doch es wurde auch Kritik laut an dem neuen Meta-Siegel. Deshalb soll es weiterentwickelt werden zu einem „Grünen Knopf 2.0“. Dazu hat ein fünfköpfiger Fachbeirat in den letzten beiden Jahren die bestehenden Kriterien und die Vorschläge zur Weiterentwicklung untersucht. Das Fazit erinnert im Groben an andere gesellschaftliche Situationen: Material ok, Menschlichkeit nee. Also: Die Anforderungen ans Material – etwa Verbot von Weichmachern und gefährlichen Chemikalien, schadstoffgeprüfte Naturfasern – seien erfreulich hoch, wenn auch bei Langlebigkeit und Kreislauffähigkeit noch Ausbaupotenzial bestehe.
Nachbesserungsbedarf sieht der Grüne-Knopf-Beirat aber beim Punkt CSR (corporate social responsibility, soziale Unternehmensverantwortung): Obwohl „84 Prozent der Verbraucher*innen erwarten, dass in der Herstellung … existenzsichernde Löhne gezahlt werden“, erlauben oft nicht einmal die gesetzlich fixierten Mindestlöhne ein Auskommen. Und bei Herstellung in der EU – Bulgarien und Rumänien sind beliebte Produktionsländer – müssen die CSR-Kriterien gar nicht nachgewiesen werden. Frauen, die 80 Prozent der Arbeitskräfte in der Textilindustrie stellen, arbeiten oft ohne schriftliche Verträge, geschweige denn den Schutz von Gewerkschaften, und werden oft diskriminiert oder sind Sexismus ausgesetzt.
Der Beirat attestiert zwar, dass „kein anderer der anerkannten etablierten Nachhaltigkeitsstandards so umfassende Anforderungen“ formuliere, auch mit Blick auf das aktualisierte Lieferkettengesetz. Doch weil „Unternehmenskriterien der USP des Grünen Knopf 2.0“ seien, müsse er eine „stetige Reifung“ der Unternehmen für CSR bringen. Ein weiteres, systemisches Problem, mit dem der Grüne Knopf allerdings nicht allein steht, ist, wie weit die Lieferkette zurückverfolgt werden kann. Bisher erfasst er nur die beiden Produktions-Abschnitte „Bleichen und Färben“ und „Zuschnitt und Nähen“.
Doch auch in den Vorstufen entscheidet sich viel für den ökologischen Fußabdruck eines Kleidungsstücks. So ist die Baumwollproduktion mit Insektengiften und teilweise Kinderarbeit verbunden, Kunststoffbekleidung verbraucht Erdöl und trägt zur Mikroplastikbelastung der Meere bei. Und beim Bleichen und Färben sind Arbeitsbedingungen und Abwasserreinigung fraglich: Die Textilindustrie ist der zweitgrößte Wasserverschmutzer der Welt, eine Klärung der Abwässer wäre laut dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik „ohne weiteres“ möglich.
Was also tun? Siegel wie der Grüne Knopf werden künftig hoffentlich noch besser als heute helfen, eine gute Wahl zu treffen, wenn man neue (Berg-)Klamotten braucht. Am meisten hilft aber Selbst-Emanzipation vom Druck der Mode – vor allem im Alltag.