DAV Heilbronn: „In gewisser Weise waren wir ein Pilotprojekt“, sagt Joachim Thonig, der Leiter der MTB-Gruppe im DAV Heilbronn. „Nachdem der SWR über uns berichtet hatte, bekamen wir Anrufe aus ganz Deutschland, von ganz vielen DAV-Sektionen, MTB-Vereinen, sogar von einem Oberbürgermeister aus dem Saarland. Da war zwei Tage lang Ausnahmezustand bei uns.“ Was war geschehen? 2016 übernahm die MTB-Abteilung der Sektion die Patenschaft für eine MTB-Strecke im Heilbronner Stadtwald – knapp 30 Kilometer lang, hoher Singletrail-Anteil. Fällt was auf? Wald, Singletrail, Baden-Württemberg? Ja, das funktioniert in dem Bundesland mit der Zwei-Meter-Regel zum Befahren von Wegen, sofern Wege genehmigt und speziell fürs Biken ausgewiesen werden. Klingt einfach, ist es aber nicht – wobei das wiederum nicht nur für Baden-Württemberg gilt. Doch dazu später.
2012 gab es auch in Heilbronn einen runden Tisch. Die Mission: Frieden auf den Stadtwaldwegen zwischen denen, die im Fahrradsattel sitzen, und jenen, die dort gern wandern oder spazieren gehen. Und einen konstruktiven Dialog schaffen mit allen anderen Anspruchsgruppen im Wald: den Eigentümern, der Forstverwaltung, dem Naturschutz. Auch die Stadt Heilbronn hatte ein großes Interesse an offiziellen und durch feste Gruppen gepflegten Strecken. Denn immer mehr „wilde“ Trails im Stadtwald führten zu immer größerem Unmut. Für die damalige Revierförsterin Prof. Gunda Rosenauer, neben Joachim Thonig Mitinitiatorin der „Initiative verantwortungsvolles Biken“ (IVB), war es klar, dass es besser ist, miteinander zu reden, als gegeneinander zu arbeiten. „Das war dann von Anfang an so konstruktiv und wertschätzend, dass daraus viele Treffen wurden und eine wundervoll lösungsorientierte Zusammenarbeit entstanden ist“, sagt sie heute rückblickend.
Der Deal: Bestimmte Trailrules für einen respektvollen Umgang mit Natur und Mitmenschen festlegen, breit kommunizieren und darauf aufbauend ein spezielles MTB-Wegenetz schaffen. Die Biker*innen versprachen im Gegenzug, nicht-offizielle Trails aufzulösen. Wo steht die Initiative heute? Im Landkreis gibt es mittlerweile sechs offizielle MTB-Routen – Strecken, die vor der Ausweisung ohnehin kräftig befahren wurden. „Illegale“ Trails in sensiblen Gebieten gibt es deutlich weniger, die Bemühungen um ein geeignetes MTB-Terrain werden mit Rücksicht und Einsicht belohnt. Und der DAV Heilbronn? Die Aktiven der MTB-Abteilung fahren die 2017 eingeweihte „Tour Nr. 1“ regelmäßig ab und halten sie instand. Genau wie die zwei Jahre zuvor eröffnete DAV Freeride- und Downhillstrecke, Sektion über einen Pachtvertrag offiziell betreibt.
Dass Bewegung in die Sache gekommen ist, schlägt auch bei der Mitgliederentwicklung und dem ehrenamtlichen Engagement durch: Die Sektion hat mittlerweile zehn ausgebildete MTB-Trainer*innen und kann sich über jede Menge Nachwuchs freuen – die Warteliste der zwei MTB-Jugendgruppen ist sehr lang. Lang war auch der Weg zu den Trails, um am Ende doch noch ein Haar in der Heilbronner Erfolgssuppe zu finden. Und durchaus steinig. „Dass man jahrelang durchaus gegen Windmühlen zu kämpfen hat, da muss man einfach durch“, sagt Joachim Thonig. Das große Glück: Der Sektionsvorstand stand von Anfang an hinter seinem Einsatz. Auch finanziell, etwa beim nötigen Umweltgutachten, das zum Ergebnis kam, dass die Strecke keinen Einfluss auf das FFH-Schutzgebiet hat.
DAV Oberer Neckar: Ortswechsel nach Spaichingen (Baden-Württemberg), die dortige Bergsteigergruppe ist Teil der DAV-Sektion Oberer Neckar. Der ehemalige Sektionsvorsitzende Tobias Kessler hat es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Schritte auf dem Weg zu einem ausgewiesenen, offiziellen MTB-Streckennetz zu dokumentieren. Er selbst hatte sich damals an den DAV Heilbronn gewendet und möchte nun auch anderen Sektionen weiterhelfen, die das Thema umtreibt. „Wir müssen ja nicht ständig das Rad neu erfinden, unterm Strich geht es immer um die gleichen Themen.“ Konkret sind das die Abstimmung innerhalb der Sektion, Haftungs- und Betreiberfragen, Genehmigungsverfahren, Streckenbau und -unterhalt. Gemeinsam mit dem Abteilungsleiter MTB, Sascha Merkel, hat sich Tobias Kessler für das Mountainbiken starkgemacht und gleich erkannt: Der Sport muss attraktiv sein für die Jungen. „Da müssen auch mal künstliche Hindernisse her, sonst bauen die Jugendlichen das alles selbst – und dann inoffiziell.“ Woher er das so genau weiß? Weil er einen Sohn hat, für den Tourenfahren auf breiten Wegen eine recht lahme Angelegenheit ist. Und weil er gesehen hat, was im kommunalen Wald oberhalb von Spaichingen passiert ist: Ab 2015 entstanden dort mehrere „illegal“ gebaute Trails. 2019 wurden sie entfernt, doch das Problem war damit nicht vom Tisch. Die Aktiven vermissten geeignete Bike-Strecken und den Willen, das Potenzial für wohnortnahes Mountainbiken auf offiziellen Wegen als natur- und sozialverträgliche Lenkungsmaßnahme zu erkennen.
Mit neuem Bürgermeister und einem Generationswechsel in der DAV-Bergsteigergruppe nahm die Bereitschaft Fahrt auf, an einer gangbaren Lösung für alle zu arbeiten. Nach mehreren Monaten Planungsphase und vielen Behördengängen gab es grünes Licht für zunächst drei Trails am Zundelberg in Spaichingen. Und fünf Monate und unzählige Arbeitsstunden von rund 50 Freiwilligen später konnten zwei Strecken 2021 eröffnet werden – der dritte Trail ist inzwischen ebenfalls fertig. Tobias Kessler zieht für den Sport und für seine Bergsteigergruppe eine positive Bilanz. „Anfängliche Bedenken, ob wir als Alpenverein so ein MTB-Gelände bauen und betreuen sollen, waren spätestens dann verflogen, als klar war, dass die MTB-Fahrer sich im Verein engagieren und vor allem die Haftungsfragen geklärt waren. Und Letztere sind gut in den Griff zu bekommen.“ Die Frage, wer wofür haftet, zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche MTB-Projekte und schafft auf allen Seiten viel Verunsicherung. Entscheidend beim Bau und Unterhalt der Trails ist, wer die Strecken offiziell betreibt: die Sektion oder die Kommune. Wie bei der Trailpatenschaft in Heilbronn ist in Spaichingen die Kommune Trägerin und damit in der Verkehrssicherungspflicht. Über einen Betreuungsvertrag übergibt sie den Bau und die Pflege an die Bergsteigergruppe, die Trails wie Hindernisse einmal im Monat kontrollieren und warten muss. Das funktioniert in Spaichingen sehr gut – auf rein ehrenamtlicher Basis. Die Materialkosten werden zu einem guten Teil über Sponsoren finanziert.
DAV Aschaffenburg: Weiter geht die Reise nach Bayern: Hier hatte die Sektion Aschaffenburg gemeinsam mit der Stadt Alzenau ein ähnliches Ziel: ein offizielles Trailnetz. Die Kammtrails verbinden die umliegenden Ortschaften über Strecken in verschiedenen Schwierigkeitsstufen mit dem Hahnenkamm. Die Trails sind beschildert und jeder von ihnen hat ein von der lokalen Bergwacht erstelltes Rettungskonzept. Die Einstiege der einzelnen Trails können über die offiziellen Forstwege angefahren und zu einer Runde verbunden werden. In Bayern gibt es keine Zwei-Meter-Regelung, dafür den Begriff der „geeigneten“ Wege für das Radfahren. Dessen Auslegung ist Sache der unteren Naturschutzbehörden und führt in der Praxis zu vielen Diskussionen. Und am Ende des Tages ist die Problematik immer die gleiche, schildert Sebastian Herbert, der Initiator und Leiter der MTB-AG Hahnenkamm. „Wo es keine ausgeschilderten Trails gibt, bahnen sich die Aktiven häufig ihren eigenen Weg.“ Das war auch am Hahnenkamm der Fall – der markante Höhenzug im Landkreis Aschaffenburg ist ein attraktives Ziel auch für abfahrtsorientiertes Mountainbiken. An die 15 Jahre ging es hin und her, immer wieder wurden illegale Strecken errichtet. Unter der Hand gab es eine geduldete Strecke, doch mit dem großen Einzugsbereich wurde irgendwann klar: So funktioniert das nicht mehr.
Ein legales Trailnetz war für die Stadt Alzenau an sich vorstellbar, Trägerin wollte sie allerdings nicht sein. Schnell kam der DAV ins Spiel: Dort gab es nicht nur langjährige und fundierte MTB-Expertise, sondern auch die Bereitschaft, im Sinne von „lenken und leiten“ Verantwortung und damit die Verkehrssicherungspflicht für die Kammtrails zu übernehmen. Ist das schwierig – um wieder auf die Haftungsfrage zu kommen, die sich in diesem Fall ja dringlicher stellt als bei einer „Trailpatenschaft“? „Zunächst sind Trails rechtlich gesehen Wege wie andere Wege im Wald auch“, sagt Erik Hofmann, Mann der ersten MTB-Stunde im DAV Aschaffenburg. „Das heißt grundsätzlich Befahren auf eigene Gefahr. Wir haben am Beginn jedes Trails außerdem Nutzungsbestimmungen ausgehängt, auf die wir uns berufen.“ Gegen Schäden, die durch fahrlässiges Verhalten der Sektion entstehen, gibt es eine Haftpflichtversicherung – und das „System Community“, nämlich viele Freiwillige, die alle Trails regelmäßig abfahren und das Orgateam bei der Instandhaltung unterstützen.
Das Dilemma beim Planen solcher Trails kennt Erik Hofmann nicht nur vom Hahnenkamm: Aber klar, das ist immer mit Stress verbunden – mit den Jägern, mit dem Naturschutz, mit dem Forst. Auf der anderen Seite gibt es genug Gruppen, die sagen: O.k., dann machen wir das halt illegal. Es entsteht großer Druck. Und wenn am Ende dann doch etwas Offizielles aufgesetzt wird, stellen alle fest: Das kostet nicht viel Geld und funktioniert gut.“ So auch auf den Kammtrails, die mit der Sektion als Betreiberin ebenfalls ein Pilotprojekt für den Alpenverein sind. „Und ein Prestigeprojekt“, ergänzt Karl-Heinz Brosig, dritter Vorsitzender der Sektion und selbst begeisterter Mountainbiker. „Wir legen Wert darauf, dass Mountainbiken in unserer Sektion repräsentiert ist und wir handlungsfähig sind.“
DAV Eichstätt: Letzte Etappe ins bayerische Eichstätt: Pump Track, Dirt Line, Drops und Flow Line: Neben der Kletterhalle der Sektion können sich nicht nur junge Wilde seit Herbst 2019 im „JuraFlow“ richtig austoben. Die Anlage bietet viel – wenn sie denn genutzt werden kann. Nach einer kurzen Phase mit viel Fahrspaß war 2020 coronabedingt erst einmal Schluss. Dafür kam in ein anderes Projekt etwas Bewegung, das schon länger im Gespräch war: Die Ausdehnung des Sektionsengagements Richtung Trails. Mit Daniel Seibold, dem zweiten Vorsitzenden der Sektion, hatte ich seit 2019 mehrfach dazu gesprochen. Alles in allem eine zähe Angelegenheit, wie sich herausstellte.
Die seit über 15 Jahren genutzten MTB-Wege im Wald der Bayerischen Staatsforsten an der Bundesstraße 13 zu legalisieren, findet großen Anklang in der Region. Doch als es ans Eingemachte geht, wird es kompliziert: Der Naturpark Altmühltal heißt das Anliegen zwar gut, hat sich jedoch auf die Ausweisung von Premium-Wanderwegen fokussiert. Die Bayerischen Staatsforsten stellen Grund zur Verfügung, wollen aber keine Verkehrssicherungspflicht übernehmen. Auch soll es weniger Strecken geben als ursprünglich geplant und es muss sichergestellt sein, dass im Planungsbereich keine wilden Trails mehr angelegt werden. Dazu kommen die Stadt und die Kommunen, die offizielle Trails begrüßen, nur operativ nicht involviert sein möchten. Was damit über den DAV Eichstätt laufen muss. Bleibt noch die nötige spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) der Naturschutzbehörde, die mit rund sechstausend Euro veranschlagt ist; insgesamt kalkuliert Daniel Seibold mit 20.000 bis 30.000 Euro für Genehmigung und Bau. Die Umweltprüfung muss zunächst die Sektion finanzieren und bekommt diese dann über das bayerische Förderprogramm „Leader“ erstattet. Die Stadt Eichstätt und die Gemeinde Adelschlag wollen die restlichen Kosten, die nicht über eine Leader-Förderung abgedeckt werden, übernehmen.
Deutlich einfacher war es, helfende Hände aus der Sektion zu bekommen – sie haben ansprechende Streckenverläufe erarbeitet und diese für die saP abgesteckt, die aktuell läuft. Zu diesen ehrenamtlichen Stunden kommt der organisatorische Aufwand, vor allem von Daniel Seibold. Ob der sich manchmal fragt, warum er sich das alles aufhalst neben Job, Familie, Sektionsvorsitz? „Ich wusste ja, was auf mich zukommt, allein beim ‚Leader‘-Antrag für den JuraFlow waren es 600 Stunden“, sagt er relativ gelassen. Und schiebt hinterher: „Ständig fallen Sätze wie ‚da müsste man doch …, da könnte man doch mal was tun‘. Da platzt mir einfach die Hutschnur.“ Er ist eben eindeutig ein Getriebener. So wie die vielen anderen aus Aschaffenburg, Spaichingen und Heilbronn, genauso wie im Westen, Norden und Osten Deutschlands, die sich für ihren Sport und ihren Verein unermüdlich und unerschütterlich engagieren.