Zwei Frauen stehen mit zwei kleinen Jungen am Chiemsee. Sie haben ihre Fahrräder dabei.
Unsere Alpine Trilogie startet am Chiemsee. Foto: Astrid Därr
Radeln, Baden und Wandern

Eine Alpen-Trilogie mit Kindern

Astrid Därr berichtet von einem besonderen Familienabenteuer zwischen Chiemsee, Zeller See und Königssee.

Schon mal vom Masererpass gehört? Keine Sorge, wir auch nicht. Bisher sind wir nur mit dem Auto auf der Bundesstraße in Richtung Reit im Winkl gedüst, ohne das grüne Passschild auch nur zu bemerken. Doch an diesem heißen Junitag fühlt sich der 793 Meter hohe Pass für uns an wie die Königsetappe der Tour de France. Denn an unseren Mountainbikes hängen nicht nur prall gefüllte Gepäcktaschen, sondern abwechselnd ziehen wir auch noch den Kinderanhänger mit unseren vierjährigen Söhnen und ihren Rädern den Berg hinauf. Mit rund 60 Kilogramm Anhängelast meistern wir (ohne E-Antrieb) die Höhenmeter von Oberwössen bis zum Pass. Da es auf diesem Abschnitt keinen Radweg gibt, sitzen die Buben im Anhänger. Oben fallen wir uns in die Arme, als hätten wir einen hohen Gipfel erreicht.

Die erste Etappe der Tour führt uns über den Masererpass bei Reit im Winkl nach Kössen. Foto: Astrid Därr

Wenige Stunden zuvor sind wir in Prien am Chiemsee zu unserem Bike, Hike & Swim-Abenteuer gestartet. Ein kurzer Stopp am Badeplatz Schöllkopf am Chiemsee, dann geht es auf dem gut ausgeschilderten Radweg Richtung Süden durch das idyllische Achental in die Chiemgauer Alpen. Auf der Passhöhe bleibt uns nicht viel Zeit zum Verschnaufen, denn ein Gewitter rückt an. So sausen wir über Reit im Winkl zügig bergab zu unserem Tagesziel in Kössen. Im Hotel Zum Sternenhof haben wir das Schwimmbad für uns allein und regenerieren mit leckerer Pizza im Restaurant.

Tourenplanung für Fortgeschrittene

Unser Tourenplan ist ehrgeizig: Kathrin und ich wollen mit unseren beiden Söhnen David und Nelion vom Chiemsee über die Nordalpen nach Zell am See radeln. Dort verbringen wir drei Erholungstage, bevor ich allein mit Nelion vom Salzburger Saalachtal über das Steinerne Meer bis zum Königssee zurück nach Bayern wandere. Es ist eine Trilogie der besonderen Art: je drei Tage Radeln, Relaxen und Wandern, dazu noch drei wunderschöne Seen auf der Strecke. Um diese Tour auf die Beine bzw. Räder zu stellen, mussten wir viele Überlegungen anstellen. Welche Etappenlängen schaffen wir mit den Kindern? Welche Route nehmen wir? Wo übernachten wir? Wo lassen wir die Räder vor der Bergtour? Wie kommen wir zurück nach Hause? Die Unterkünfte mussten wir im Voraus buchen, so dass auch wenig Flexibilität bleibt, wenn das Wetter nicht mitspielt. Die Kinder radeln streckenweise schon selbst, an Steigungen ziehen wir sie mit einem Fahrradschleppseil, das schnell am Kinderrad an- und abgehängt werden kann. Für längere Pausen und als Wetterschutz haben wir auch den Kinderanhänger dabei. Insgesamt schaffen wir mit den Kleinen bis zu 41 Kilometer und 390 Höhenmeter pro Tag.

Kinderrad, Anhänger und Satteltaschen - An unseren Rädern hängt ordentlich Packlast. Foto: Astrid Därr

Outdoorparadies Salzburger Saalachtal

Mit unserer Ankunft in Kössen im Kaiserwinkl ist die erste Etappe geschafft. Am nächsten Morgen zeigt sich die imposante Kulisse des Wilden Kaisers, als wir auf einem schattigen Schotterweg entlang der Großache weiter nach Erpfendorf radeln. Dort kühlen wir unsere heißen Waden im Kneippbecken ab, dann heißt es wieder Gas geben, um einem Gewitter zu entkommen. Die Berge um uns herum rücken näher und werden höher: im Norden die Steinplatte, im Süden die schroffen Gipfel der Loferer und Leoganger Steinberge. In Waidring stellen wir uns bei einem kurzen Regenschauer in der „Radlrast“ unter und füllen unsere Trinkflaschen am Brunnen auf. Dann radeln wir im Trockenen bis zum Bergsteigerdorf Weißbach bei Lofer. Die Übernachtung auf der ÖAV-Ferienwiese war schon den ganzen Tag die größte Motivation für die Jungs. Tatsächlich entpuppt sich der Familienzeltplatz an der Saalach als kleines Paradies. Prismenförmigen Holzhütten gruppieren sich um die Zeltwiese mit Grillplätzen, einer Slackline, Kletterwänden, Hängematten und einer Selbstversorgerküche. Während des heftigen Gewitters in der Nacht sind wir froh, in unserer Hütte statt Zeltplane ein festes Dach über dem Kopf zu haben.

Die Ferienwiese Weißbach ist ein barrierefreier Jugend- und Familienzeltplatz der Alpenvereinsjugend Österreich im Saalachtal. Foto: Astrid Därr

Gletscher, Berge und der Zeller See

Weitgehend abseits vom Verkehr radeln wir am nächsten Tag über Saalfelden zum Nordufer des Zeller Sees. Bergwälder und Almwiesen rahmen den See ein, der zu den saubersten Österreichs zählt. Im Süden verschwinden die Gipfel des Alpenhauptkamms mit der Glocknergruppe in den Wolken. Zum Baden ist es heute zu kühl, deshalb fahren wir entlang der Promenade weiter nach Zell am See am Fuße der Schmittenhöhe. Unser Hotel liegt direkt an der Seilbahn, die auf den Aussichts- und Familienberg des Städtchens führt – die 200 Höhenmeter mit den Kindern am Schleppseil erweisen sich noch einmal als Herausforderung. Kurze Entspannung im Pool, dann schweben wir ganz ohne Muskelkraft auf die Schmittenhöhe zum Sonnwendfeuer. Die spektakulären Feuer, die in den Leoganger Steinbergen und im Steinernen Meer ganze Bergketten erhellen, haben eine lange Tradition. Wegen des schlechten Wetters fallen diesmal die meisten Feuer aus, aber wir haben Glück und können miterleben, wie der riesige Scheiterhaufen auf der Schmittenhöhe entfacht wird.

Die Wasserspiele mit Musik an der Esplanade des Zeller Sees faszinieren die beiden Jungs. Foto: Astrid Därr

Die folgenden beiden Tage in der Region Zell am See-Kaprun lassen wir ruhig angehen: Wir genießen die Aussicht bei einer Schifffahrt, beobachten die beeindruckenden Wasserspiele mit Musik an der Esplanade. Und wir planschen im riesigen Tauern SPA, das mit einem (betreuten) Spielbereich, Kinder Spa und Röhrenrutschen perfekt auf Familien eingestellt ist. Mit der Sommerkarte können wir die öffentlichen Verkehrsmittel, die Schifffahrt und viele Bergbahnen gratis nutzen – so sparen wir uns auch den schweißtreibenden Anstieg mit den Rädern zum Hotel.

Höhepunkt unserer Erholungstage ist die Seilbahnauffahrt auf das Kitzsteinhorn, das wie eine graue Pyramide hinter Kaprun in den Himmel ragt: Mit der Maiskogelbahn, der 3K-Konnection, einer der modernsten Seilbahnen der Welt, und den Gletscherjets fliegen wir über die Almwiesen bis ins ewige Eis auf 3000 Metern Höhe. In der Ice Arena rodeln die Jungs bei frostigen 4°C eine Runde über den Schnee. Später rennen sie durch den nasskalten Stollen der „Nationalpark Gallery“, eine unterirdische Ausstellung im Herzen des Bergs, die über die Naturschätze und die Entstehung der Hohen Tauern informiert. Auf der Aussichtsplattform am Ende des Stollens stehen wir auf Augenhöhe mit den hohen Tauerngipfeln, darunter Großglockner und Großvenediger. Geübte Familien können von der Bergstation auf dem einfachen, kurzen Klettersteig auch den Gipfel des Kitzsteinhorns (3203 m) erklimmen. Zum Tagesabschluss sausen wir noch mit dem „Maisiflitzer“, einer rasanten Ganzjahres-Rodelbahn, hinunter nach Kaprun.

Geografischer und emotionaler Höhepunkt der Tour: Auf Augenhöhe mit den hohen Tauerngipfeln stehen wir auf der Aussichtsplattform am Kitzsteinhorn in Kaprun. Foto: Astrid Därr

Übers Steinerne Meer zum Königssee

Bisher hatten wir bei unserer Alpen-Trilogie viel Glück mit dem Wetter. Doch für die nächsten Tage sind wieder Gewitter angesagt. Kathrin und David fahren mit ihren Rädern von Zell am See mit dem Zug zurück nach München. Und wir müssen uns entscheiden, ob wir die Hüttentour von Weißbach bei Lofer zum Königssee wagen oder nicht. Mir ist klar, dass die Überquerung des Steinernen Meeres mit Kind ein anspruchsvolles Unterfangen ist. Ich bin sehr bergerfahren und habe als Tiroler Bergwanderführerin auch eine alpine Ausbildung. Mein Sohn ist seit dem Säuglingsalter mit mir unterwegs und hat schon öfter Aufstiege von bis zu 600 Höhenmetern gemeistert. Daher ist diese Tour für uns realistisch, während wir sie weniger erfahrenen Familien erst mit deutlich älteren Kindern empfehlen würden. Immer wieder checke ich den Wetterbericht, überlege mir Umkehrpunkte und Alternativen. Schließlich entscheiden wir uns, wie geplant von der Kallbrunnalm oberhalb von Weißbach (Bergtaxi zur Käsehütte) zum Ingolstädter Haus aufzusteigen und je nach weiterer Prognose am nächsten Tag wieder abzusteigen.

"Da gehts lang!" Zum Ingolstädter Haus ist es nicht mehr weit. Foto: Astrid Därr

Also packen wir unsere Ausrüstung aus den Radtaschen in den Rucksack. Die Räder und das überflüssige Gepäck stellen wir bei einer Freundin in der Nähe von Saalfelden ab. An diesem Tag sind erst für den späten Nachmittag Gewitter angesagt. Vorbei an herrlichen Blumenwiesen wandern wir von der Kallbrunnalm im Naturpark Weißbach am Diesbachstausee vorbei zur Materialseilbahn vom Ingolstädter Haus. Auf einem kleinen Pfad umgehen wir den Felsriegel der Mitterkaserwand, lassen die letzten Lärchen hinter uns und steigen über Schotterhänge auf. Nach einem anfänglichen Motivationstief ist Nelion begeistert bei der Sache, solange ich ihm lustige Geschichten von sprechenden Hütten und Murmeltieren erzähle. Wir überqueren zwei weiche Altschneefelder und erreichen gegen Mittag das Ingolstädter Haus (2119 m), das inmitten einer rauen Felslandschaft am Fuße des Großen Hundstod (2594 m) thront. Bis auf ein paar Regentropfen am frühen Abend bleibt es trocken. Wir lassen uns einen Topfenstrudel schmecken und fallen früh ins Bett.

Am nächsten Morgen starten wir vor allen anderen um sieben Uhr los. Der Abstieg vom Ingolstädter Haus über das Steinerne Meer zum Kärlinger Haus dauert normalerweise ca. drei Stunden. Ab etwa 14 Uhr sind Gewitter vorhergesagt, wir haben also viel Zeitreserve. „Wann hören die Steine auf?“ fragt Nelion nach dem Aufbruch, doch dann findet er Gefallen an der leichten Kraxelei, sucht zwischen den Felsen nach Blümchen, freut sich über die Schneefelder und die Schafe, die sich auf den grünen Flecken versammeln. Das Pfeifen der Murmeltiere begleitet uns schon den ganzen Tag und bald entdecken wir einige zutrauliche Mankeis direkt neben dem Weg.

Das Kärlinger Haus am Funtensee wird auch Funtenseehaus genannt. Foto: Astrid Därr

Je weiter wir in Richtung Kärlinger Haus (1638 m) absteigen, desto grüner wird es. Bei der Hütte im Nationalpark Berchtesgaden umgibt uns schließlich eine märchenhafte Kulisse: Von der Terrasse blicken wir direkt auf den Funtensee, der wie ein funkelnder Smaragd eingerahmt von Gipfeln und Bergwald in einer Senke liegt. Im Winter gilt der Karstsee als kältester Ort Deutschlands. Ende Juni planschen wir am sandigen Ufer in der warmen Sonne. Erst in der Nacht setzen Gewitter ein, die den ganzen nächsten Tag anhalten. Deshalb beschließen wir, einen Ruhetag einzulegen. Nelions Beine schmerzen sowieso und so vertreiben wir uns die Zeit – völlig offline ohne Handyempfang oder WLAN – mit Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen und Spaziergängen am See.

Der letzte Abstieg: Durch die Saugasse wandern wir in vielen Serpentinen nach St. Bartholomä am Königssee. Foto: Astrid Därr

Rund elf Kilometer und 1100 Höhenmeter Abstieg trennen uns noch von unserem Ziel, St. Bartholomä am Königssee. Wieder brechen wir vor allen anderen Wandernden auf und erreichen früh die berühmte „Saugasse“, über die wir in vielen Serpentinen zwischen den Felswänden absteigen. Nelion marschiert flotten Schrittes an meiner Hand. Erst auf den letzten Höhenmetern werden die Beine merklich müder. Bei strahlendem Sonnenschein springen wir schließlich jubelnd in den erfrischend kalten Königssee. Was für ein Glücksgefühl, es tatsächlich bis hierher geschafft zu haben! Mit der Schifffahrt über den Königssee nach Schönau endet unsere Alpen-Trilogie. Der Bus bringt uns wieder zu unseren Rädern nach Saalfelden und von dort geht es mit dem Zug zurück nach München.

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