Pulverlabfahrt ins Taschachtal
Weite Hänge, guter Schnee: traumhafte Abfahrt ins Taschachtal. Foto: Michael Pröttel
Drei Tage auf Skihochtour

Ötztaler Eisgiganten

Auf einer großartigen Skitourenrunde kann man Taschach-, Vernagt-, Guslar- und Gepatschferner miteinander verbinden und dabei auch noch drei Dreitausender besteigen.

War´s das jetzt? Ziemlich ratlos schauen Jana und ich in die steile, vereiste Nordflanke des Wannetjochs. Nur diese Schlüsselstelle noch! Dann hätten wir den Übergang zum Taschachhaus und somit unsere Skihochtourenrunde im Rucksack. Schnee und Eis geben jedoch kein Stück des dort angeblich vorhandenen Stahlseils frei. Ein Hilfsmittel, an das man hier dankbar Hand anlegt. Wenn es denn greifbar ist. Wolfgang sieht die Sache hingegen sportlich. „Das ist die Quittung dafür, dass wir am ersten Tag geschummelt haben!“.

Tatsächlich waren wir vorgestern keineswegs „by fair means“ in unser gut vierzig Kilometer langes Gletscherabenteuer gestartet … Mit dem Skitourenticket der Pitztaler Gletscherbahn geht es ohne Schweißverlust zum Ausgangspunkt auf stolze 3440 Metern hinauf. Moralisch gesehen ein Balanceakt: Der Autor kämpft mit seinem Verein Mountain Wilderness Deutschland seit Jahren gegen die Pläne der Betreiber, den Linken Fernerkogel ins Pistengebiet einzugliedern. Aber manchmal darf man vielleicht ja über seinen „Gesinnungs-Schatten“ springen. Und zwar dann, wenn man gleich am Anreisetag unbedingt einen Dreitausender mitnehmen will.

Vom Skidepot geht es über einen schönen Grat zum Gipfel des Hinteren Brochkogel. Foto: Michel Pröttel

Nach einer abfahrenden Querung kommt unser Gipfelziel am Mittelbergjoch auch schon ins Blickfeld: Nicht die (zumindest im Winter noch) weiße Wildspitze, sondern der schwarze Hintere Brochkogel. Am höchsten Punkt Tirols waren wir alle schon mehrfach. Am felsigen Nachbarn hingegen noch nie. Trotz Schneearmut ist der Anstieg über den Taschachferner kein Problem. Starke Südwestwinde, wie sie in den letzten Wintern immer häufiger auftreten, führten dazu, dass der wenige Schnee gut in die Spalten eingeweht ist. Klar ist aber auch: Die Abfahrt zum Taschachhaus wird uns statt Powder wohl eher Wind gepressten Harsch bescheren.

Detaillierte Infos zur Tour (inklusive GPX-Track)

Thermoskanne, Kleidung, Gletscherausrüstung mit Pickel und Steigeisen, sowie Proviant für drei Tage. Schwer lasten die Rucksäcke beim Anstieg zum Brochkogel-Südostgrat auf unseren Schultern. Umso beschwingter kraxeln wir ab dem Skidepot rucksacklos über den tollen Urgestein-Grat. Die Kletterei ist alles andere als schwer. Gut konzentrieren müssen wir uns trotzdem. Stellenweise ist die verschneite Schneide ganz schön ausgesetzt. Wie schön, wenn man vertrauenswürdige Fels-Freunde findet, an die man sich ab und an klammern kann. Am 3635 Meter hohen Gipfel sind sich alle einig: Wir haben die richtige Entscheidung getroffen. An der gegenüberliegenden Wildspitze werden heute wohl Platzkarten vergeben. Wir haben den Hinteren Brochkogel dagegen ganz für uns alleine … was man wenige Stunden später von der gut besuchten Vernagthütte nicht sagen kann.

Auch im Winter gut besucht: die Vernagthütte. Foto: Michael Pröttel

Der nächste Tourentag steht dazu im größtmöglichen Kontrast. Auf dem gewaltigen Gepatschferner kommen wir uns vor wie klitzekleine Ameisen. Niemand außer uns befindet sich heute am zweitgrößten Gletscher Österreichs. Wir sind überwältigt von der Hochgebirgslandschaft und können es nicht fassen, dass dieses unvergleichliche Naturjuwel verschandelt werden soll.

Rettet den Gepatschferner

Anfang 2023 verkündeten die Kaunertaler Gletscherbahnen, dass der Bauantrag für eine neue Seilbahn zum Weisseeköpfl eingereicht wurde. Dieses liegt etwa 200 Meter östlich der Weisseespitze, ist eisfrei, befindet sich schon im Bereich des Gepatschferners. Also außerhalb der genehmigten Skigebietsgrenze. Zusätzlich soll auf dem Gepatschferner ein 1,6 Kilometer langer Schlepplift bis zum Zahn und eine Abfahrt über das Nörderschartl entstehen.

DAV und ÖAV, wie auch verschiedene Umweltschutzorganisationen, lehnen diese Plane entschieden ab. Jeden Sommer mussten die Gletscheroberflächen mit schwerem Gerät bearbeitet und Spaltenzonen zugebaggert werden. Ob der Gemeinde Kaunertal das 2021 von der UN-Welttourismusorganisation vergebene Nachhaltigkeitssiegel durch das geplante Projekt aberkannt wurde, ist noch offen.

Flo kann die gewaltige Eislandschaft allerdings nur unter Vorbehalt genießen. Bei einer Brotzeitpause unterhalb des Brandenburger Hauses hatte er sich über einen patschnassen Skisocken gewundert. Die Ursache ist ein großer Riss in der Schale des Skischuhs. Jana leistet kompetent Erste Hilfe, doch wird die Leukoplast- Bandage bis zum Ende der kompletten Tour halten?

Ein wenig Tape und der Schuh ist so gut wie neu. Und hält zum Glück bis zum Ende der Tour durch. Foto: Michael Pröttel

Diese Frage wird am letzten Tag auf dem eingangs genannten Wannetjoch mit einem „Ja“ beantwortet werden. Was auch daran liegt, dass der Schuh im gemütlichen Winterraum der Rauhekopfhütte zusätzliche Bandagen erhielt. Währenddessen zaubert Wolfgang aus getrockneten Steinpilzen, Salbeiblättern, Parmesan und Nudeln ein sensationelles Abendessen, das von Jana mit einem frischen Gurkensalat gekrönt wird.

Auf der Rauhekopfhütte ist nur der Winterraum geöffnet. Als erstes heißt es: Schnee schmelzen. Foto: Michael Pröttel

Diese Stärkung können wir am nächsten Morgen bei der pickelharten Steilabfahrt zum unteren Gepatschferner gut gebrauchen. Den von steilen Felswänden flankierten Eisstrom wieder zu verlassen, erweist sich im Anschluss als gar nicht einmal so leicht. Pickel und Steigeisen sind beim Ausstieg über die steile Seitenmoräne alles andere als Luxus.

Und jetzt stehen wir also grübelnd am Wannetjoch. Flo schaut Richtung Gipfel. Ihm kommt eine genauso einleuchtende, wie elegante Idee. Warum die Hintere Ölgrubenspitze (die wir ohnehin mitnehmen wollten) nicht direkt vom Joch aus über ihren Ostrücken besteigen und vom Gipfel dann (wie geplant) die steile Nordostflanke abfahren? Das Ganze ergäbe dann eine ideale Überschreitung.

Beim Gipfelanstieg zur Hinteren Ölgrubenspitze ist durchaus alpinistisches Können gefragt. Foto: Michael Pröttel

Nach ein paar Spitzkehren kommen die Ski an den Rucksack. Am abgewehten Rücken weicht der Schnee zunehmend Felsblockgelände. Außerdem wird der Rücken passagenweise zum schmalen Grat. Was den alpinistischen Reiz der Unternehmung freilich erhöht. Mit jedem gewonnenen Höhenmeter wächst die Spannung. Wie steil wird die Einfahrt vom Gipfel sein? Mit welcher Schneeart werden wir es zu tun haben? Es ist das bekannte Problem: Den Vorteil, die Abfahrtsbedingungen schon vom Aufstieg zu kennen, hat man bei einer Überschreitung natürlich nicht.

Punkt 13 Uhr erreichen wir den höchsten Punkt und schauen noch einmal schwer beeindruckt auf das riesige, noch unverbaute Gletscherplateau des Gepatschferners zurück. Vollkommen entspannt ist die Gipfelbrotzeit angesichts der bevorstehenden Abfahrt aber nicht. Und schon nach dem ersten Schwung im etwa 45° steilen Hang ist klar: Wer scharfe Kanten hat, ist heute klar im Vorteil. Dafür hält die harte Unterlage keine Überraschungen bereit.

Abfahrt vom Taschachhaus ins Taschachtal. Foto: Michael Pröttel

Sturzfrei fahren wir ins weite Taschachtal hinein und am gleichnamigen Alpenvereinshaus vorbei, das noch im Winterschlaf liegt. Nach der „Kür“ am Steilhang wartet nun die „Pflicht“ in Form eines nicht enden wollenden, meist sehr flachen Talausgangs. Nicht nur deshalb haben wir uns eine frische Hopfenkaltschale an der sonnigen Taschach Alm redlich verdient.

TIPPS FÜR DEN BERGURLAUB

Im Pitztal kann man natürlich nicht nur Skitouren gehen, ein längerer Aufenthalt lohnt sich hier unbedingt. Weitere Aktivitäten sind beispielsweise:

  • Eisklettern: Rund 45 Eisfälle gibt es im Pitztal

  • Es gibt über 100 km Langlaufloipen

  • Tipp: Winterwandern zur Gogles Alm

  • Tiroler Steinbockzentrum

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