Gipfelkreuz, im Hintergrund Blick über die Alpen
Eine spektakuläre Rundumsicht eröffnet sich vom Hohen Riffler (3168 m) im Verwall. Foto: Romy Robst
5 Wander-Dreitausender in den Alpen – Teil II

Hochgefühl

Für eine waschechte Wander- oder Bergsteigerseele gibt es kaum etwas Schöneres, als auf einem hohen Gipfel zu stehen. Berge über dreitausend Meter üben da einen besonderen Reiz aus. Warum eigentlich? Ein Erklärungsversuch für das besondere Hochgefühl anhand der Dreitausender Hoher Riffler, Ankogel, Böses Weibl, Wildes Mannle und Munt Pers.

Im Hier und Jetzt. Nicht sinnierend über das, was war oder das, was kommen möge. Nur dieser Moment. Der, in dem die Zeit stehenbleibt. Manche mögen beim Lesen die Augen rollen. Die vielen Achtsamkeitstipps, denen wir im Alltag kaum entkommen können, tragen genau dieses Im-Moment-Sein gebetsmühlenartig in die Welt. Mir glitt dieses Hier und Jetzt immer durch die Finger wie feine Sandkiesel am Strand. Selbst bei Wanderungen ertappte ich mich dabei, immer auch ein klein wenig getrieben zu sein. Spätestens 15:00 Uhr sollte ich an der Hütte sein. Morgen könnte ich diesen Berg noch besteigen, nehme ich dann den schweren oder den leichten Weg? Noch schnell ein Foto machen, um den Daheimgebliebenen zu zeigen, wie schön es hier ist. Das alles ist auch schön. Aber nicht im Hier und Jetzt. Dieses Gefühl finde ich vor allem an einem Ort: einem Berg über dreitausend Metern.

Auch mit tierischer Begleitung sind die meisten der vorgestellten Dreitausender gut machbar – hier am Hohen Riffler. Foto: Romy Robst

Wenn man sich mit dem ganzen Körper einen solchen Berg hinaufgeschoben hat, dafür vielleicht sogar den halben Tag gebraucht hat, dabei Körner, Kraft und Durchhaltevermögen gelassen hat, verfliegen spätestens auf dem Gipfel alle planenden oder reflektierenden Gedanken. So eine Wanderung auf einen stattlichen Dreitausender verbindet uns auf eine ganz eigene Art mit dem Dasein. Unser überwiegend im Kopf stattfindendes Leben rutscht tiefer. Vom Gehirn in die Augen, die bemüht sind, jedes Detail dieser Welt, in der wir klein wie Ameisen sind, zu fassen. Dann weiter ins Herz, das sich anstrengungsbedingt noch etwas schneller pumpend plötzlich leicht und unbeschwert anfühlt. Noch eine Etage tiefer, im Bauch, fängt es vielleicht an zu kribbeln. Und ja, die Waden und Füße schmerzen ein bisschen. Manchmal erwischt uns auch ein Hochgefühl. Diese kleine, feine Steigerung des Glückes, weil wir mit allen Sinnen fühlen, angeregt sind und genießen. Dieses Gefühl, das wenigen, rar gesäten Bergmomenten im Jahr vorbehalten ist. Um dem Glück dort oben zu begegnen, braucht es nicht zwangsläufig Seil und Pickel, denn es gibt auch einige wanderbare Dreitausender. Hier sind fünf besonders schöne und an stabilen Sommertagen recht sicher zu erreichende Tourenbeschreibungen – quasi die Wegweiser ins Hier und Jetzt:

Hoher Riffler: Beste Aussichtsloge im Verwall

Majestätisch erhebt sich der Hohe Riffler über die Gipfel des Verwalls – ein Dreitausender, der mit einem atemberaubenden Panorama lockt und vergleichsweise gut erreichbar ist. Wem der Anstieg von knapp zweitausend Höhenmetern in einem Rutsch zu ambitioniert erscheint, plant eine Zwischenübernachtung in der Edmund-Graf-Hütte ein. Egal ob an einem oder an zwei Tagen, die Besteigung des Hohen Rifflers zeigt die ganze Schönheit des Verwalls. Wild und unberührt präsentiert es sich und fasziniert zugleich mit schroffen Gipfeln, die über sanft geschwungenen, sattgrünen Hängen thronen. Der Hohe Riffler ist mit seinen 3168 Metern der höchste Punkt dieser abwechslungsreichen Gebirgskette. Bis zur Edmund-Graf-Hütte gleicht der Aufstieg einer gemütlichen Wanderung, die technisch nicht sonderlich fordert. Nach einer Stärkung oder längeren Erholungspause über Nacht geht es über den Karl-Handl-Steig dann anspruchsvoller auf den Gipfel.

Auf dem Weg zum Hohen Riffler kann auch mal ein Schneefeld zu queren sein. Foto: Romy Robst

Hier eröffnet sich eine spektakuläre Rundumsicht: Die Verwallgruppe, die Lechtaler und Ötztaler Alpen sowie die Silvretta- und Ortlergruppe liegen wie ein riesiges Relief zu Füßen. Genau genommen unterteilt sich der Gipfelbereich in einen Nord- und einen Südgipfel. Als Ziel belässt man es aber am besten beim südlichen, der zwei Meter höhere Hauptgipfel erfordert mit Kletterstellen im dritten Schwierigkeitsgrad alpine Erfahrung und sicheres Können, insbesondere beim Abstieg.

Ankogel: Ein Stück Geschichte des Alpinismus

Das blockige Gelände auf dem Weg zum Ankogel erfordert Trittsicherheit. Foto: Romy Robst

Man sagt, am Ankogel sei der Alpinismus geboren. Der 3252 Meter hohe Gipfel zählt zu den ersten vergletscherten Bergen der Ostalpen, die je bestiegen wurden. 1762 erreichte ein Almbauer aus Böckstein den Gipfel und schrieb damit Alpingeschichte. Heute lässt sich der einstige Gletscherberg bei guten Bedingungen eisfrei erklimmen. Allerdings misst die feine Aussichtsloge heute sechzehn Meter weniger. 1932 verlor sie die Spitze infolge eines Erdbebens. Das aber ist nicht der Grund, warum der Gipfel, dem die Ankogelgruppe ihren Namen zu verdanken hat, nur der zweithöchste Berg ist. Die Hochalmspitze misst mit 3360 Metern über hundert Meter mehr. Das aber stört bei der beeindruckenden Aussicht am Gipfel nicht. Vom höchsten Punkt reicht der Blick über die vergletscherte Welt der Hohen Tauern bis zur Glockner- und Schobergruppe. Selbst vom Vorgipfel, dem Kleinen Ankogel auf 3096 Metern, wird man bereits mit einer großartigen Aussicht belohnt.

Wenn das Wetter passt, verspricht der Ankogel großartige Weitblicke. Foto: Romy Robst

Wem die 2100 Höhenmeter in einem Zug zu fordernd erscheinen, kann die Ankogelbahn nutzen, um sich den Aufstieg zu erleichtern oder eine Zwischenübernachtung im Hannoverhaus einplanen. Ohnehin führen viele Wege auf den Ankogel. Wer auf die Gondelfahrt verzichtet, startet an der Talstation und folgt zunächst dem bequemen Serpentinenweg hinauf zur Mittelstation. Von dort gibt es zwei Optionen: Entweder man steigt entlang der Trasse zum Hannoverhaus auf oder wählt die reizvollere, westliche Route. Diese führt durch eine eindrucksvolle Gerölllandschaft hinauf zum Tauernhöhenweg. Ab hier geht es über blockiges Gelände stetig bergauf bis zum Abzweig zum Ankogel. Der weitere Aufstieg führt über Schneefelder und teils ausgesetzte Pfade hinauf zum Kleinen Ankogel – zugleich ein feines Ziel, wenn die Wetterbedingungen nicht ideal sind, um bis ganz nach oben zu gelangen. Anschließend wird das Gelände nämlich anspruchsvoller: Der Übergang zum Hauptgipfel erfordert Trittsicherheit und leichte Kletterei. Der Abstieg erfolgt zunächst auf demselben Weg zurück zum Abzweig, bevor es über große Gesteinsbrocken in Richtung Celler Hütte geht. Eine besonders stille und landschaftlich beeindruckende Alternative führt von dort entlang rauschender Wasserkaskaden durch das idyllische Seebachtal zurück zum Ausgangspunkt.

Böses Weibl – nicht nur für Fans skurriler Namen

Zu Beginn verläuft der Aufstieg aufs Böse Weibl eher sanft. Foto: Romy Robst

Dieser markante Gipfel hat weit mehr zu bieten als einen ungewöhnlichen Namen. Mit 3119 Metern zählt er zu den höheren Bergen der Schobergruppe und verspricht eine abwechslungsreiche Tour, die bei guten Bedingungen als großartige Rundtour angelegt werden kann. Der Aufstieg beginnt sanft: Bis auf etwa 2500 Meter prägen idyllische Alm- und Moorlandschaften das Bild. Am Peischlachtörl wartet ein herrliches Hochmoor mit einem traumhaften Blick hinauf zum Gipfelziel. Anschließend leiten alpine Steige über Blockwerk, Schutt und ausgedehnte Schneefelder bis hinauf auf den Tschadinsattel. Links ragt der Gipfel empor, nur noch wenige steile Höhenmeter trennen vom höchsten Punkt. Die letzten Meter verlaufen ausgesetzt, doch die Mühe wird mit einem atemberaubenden Rundumblick auf den Großglockner und das Großvenedigermassiv belohnt.

Spektakuläre Aussichten gibt es auf der Tour aufs Böse Weibl genug – insbesondere wenn die Sonne langsam untergeht. Foto: Romy Robst

Wieder am Tschadinsattel angekommen, führt der Weg auf der gegenüberliegenden Seite steil hinab zum Kesselkeessattel, wo das Gernot-Röhr-Biwak wie ein Adlerhorst thront. Über den Wiener Höhenweg geht es zurück zum Peischlachtörl, von wo aus es auf dem Aufstiegsweg zurück zum Ausgangspunkt geht.

Wildes Mannle – ziemlich zahmer Zeitgenosse

Ein Winzling unter den Großen: das Wilde Mannle mit seinen 3019 Metern liegt in den Ötztaler Alpen. Foto: Romy Robst

In der Sammlung der Dreitausender mit besonderen Namen, darf das Wilde Mannle in den Ötztaler Alpen nicht fehlen. Die Ötztaler beherbergen mit Abstand die meisten Dreitausender in Österreich. Insgesamt 226 Gipfel überschreiten hier die magische Grenze. Angesichts dieser Menge ist es keine leichte Aufgabe, den perfekten Aussichtsberg auszuwählen. Der bekannteste Gipfel, die Wildspitze, lockt zwar mit ihrer Höhe von 3768 Metern, stellt jedoch hohe Anforderungen. Warum also nicht den kleinen Bruder nebenan wählen, der ebenfalls beeindruckende Ausblicke bietet, aber weit weniger anspruchsvoll ist? Trotz seines Namens ist das Wilde Mannle ein eher zahmer Vertreter unter den Dreitausendern – ein einfacher, wanderbarer Gipfel, der mit 3019 Metern zu den Winzlingen unter den Großen gehört. Aber das trübt die atemberaubende Aussicht keineswegs. Was das Wilde Mannle besonders macht, ist seine Zugänglichkeit für nahezu alle mit Bergwandererfahrung.

Das Wilde Mannle ist für fast jedes Konditionslevel machbar. Foto: Romy Robst

Mit überschaubaren konditionellen Anforderungen eignet sich dieser Gipfel ideal als Einstieg in die Welt der Dreitausender. Allerdings sollte man sich darauf einstellen, dass der Berg aufgrund seiner Beliebtheit häufig gut besucht ist.

Munt Pers: ganz großes Kino

Geografisch betrachtet bleiben wir in den Ostalpen, wechseln aber hinüber in die Schweiz, um einer ganz besonderen Aussichtskanzel einen unvergesslichen Besuch abzustatten. Der Munt Pers, 3206 Meter, was aus dem Romanischen übersetzt so viel wie „verlorener Berg“ bedeutet, ermöglicht Bergsteigenden ohne Hochtour und Klettereinlage einen fantastischen Blick in die Welt der Eisriesen, Gletscher & Co. Wer mag, kann sogar einen zweiten Dreitausender besteigen, denn quasi auf dem Weg liegt der Sas Queder mit 3065 Metern. Kurioses Extra: Am Gipfel des Sas Queder wartet nicht etwa ein Kreuz, sondern ein Grillplatz – angeblich die höchste Feuerstelle Europas. Beide Gipfel sind eingebettet in die grandiose Kulisse der Bernina-Alpen im Schweizer Kanton Graubünden.

Fantastischer Blick auf die Welt der Eisriesen und Gletscher vom Munt Pers. Foto: Romy Robst

Die Tour beginnt im Val Bernina nahe Pontresina und führt über den malerischen Bergsee Lej da Diavolezza hinauf zur gleichnamigen Bergstation. Wer es sich leicht machen will, kann mit der Seilbahn bequem bis zur Diavolezza gondeln. Doch wirklich lohnend wird die Tour erst, wenn man sich den Gipfel komplett selbst erarbeitet – mit brennenden Oberschenkeln und ein paar Schweißperlen im Gesicht. Die Blicke auf die vergletscherte Landschaft rund um Piz Palü, Bellavista und den mächtigen Piz Bernina, dem einzigen Viertausender der Ostalpen, entschädigen für jeden selbstgewanderten Höhenmeter. Versprochen. Der Munt Pers ist grundsätzlich ein gut zugänglicher Gipfel. Es reichen gutes Schuhwerk, Trittsicherheit und etwas Kondition aus, um diese Aussichtsloge zu erklimmen. Der Weg führt über einfache Pfade, später über steinigeres Gelände und einige versicherte Stellen, die aber für Geübte kein Hindernis darstellen.

Immer wieder sorgen kleine Bergseen für Erfrischung auf dem Weg zum Munt Pers. Foto: Romy Robst

Spätestens am Gipfel des Munt Pers wird klar: Man ist angekommen im Hier und Jetzt, denn im Vergleich zum Sas Queder ist der Berg stiller und weniger stark frequentiert. Die Gletscher scheinen zum Greifen nah, der Persgletscher liegt zu Füßen, der gewaltige Morteratschgletscher zieht sich durch das Tal. Trotz seines dramatischen Rückzugs ist er noch immer der drittlängste Gletscher der Ostalpen – und aus dieser Perspektive ein imposantes Naturschauspiel.