Dachsteinsüdwandhütte
Beim Zustieg in die Schwadering und zur Hunerscharte fällt der Blick über die Dachsteinsüdwandhütte zum wolkenverhangenen Rötelstein und zum Einschnitt des Tors rechts oben. Foto: Axel Klemmer
Rund um Schladming

Wandern in den Dachstein-Tauern

Schladming ist kein Bergsteigerdorf, sondern eine Bergsteigerstadt. Mit einem ebenso großen wie abwechslungsreichen Tourengebiet. Und mit einem öffentlichen Nahverkehr, der funktioniert.

„Da gibt es keinen Weg.“ Die junge Frau am Ticketschalter der Tauern-Seilbahn auf den Hauser Kaibling sieht den ersten Gast an diesem Morgen mit großen Augen an. Was der wissen will! Sie kann es ihm jedenfalls nicht sagen und holt ihre ältere Kollegin. Die hört zu. Schaut ernst. Scheint lang verschüttetes Wissen auszugraben. Doch, erinnert sie sich, da gebe es schon einen Weg. Aber der sei sehr lang. Ob der Gast das wisse? Der Gast, ich, bejaht. Ich möchte von der Bergstation auf dem Hauser Kaibling hinüber zur Bergstation auf der Planai wandern, und zwar über den Gipfel des Höchsteins. Auf der Karte sieht das nach einer guten, logischen Tour aus. Ich zweifle also nicht am Weg, sondern möchte nur wissen, ob meine Schladming Sommercard es auch erlaubt, jetzt mit der Kaiblingbahn hinauf- und später mit der Planaiseilbahn hinunterzufahren.

Auf dem Höhenweg zwischen Hochwurzen und Ignaz-Mattis-Hütte. Foto: Axel Klemmer


Mit dem Zug bin ich von München nach Schladming in die Obersteiermark gereist, ohne Umsteigen in dreieinhalb Stunden. In Schladming leben 6500 Menschen, was für eine Stadt zwar wenig, für ein Dorf aber zu viel ist. Es gibt eine große Ortsumfahrung, es gibt Durchfahrtsstraßen und etwas Industrie, eine schöne Innenstadt mit Fußgängerzone, Geschäften, Restaurants, Cafés und einem Kino. Bekannt ist vor allem das Skigebiet: Schladming war Austragungsort der Alpinen Skiweltmeisterschaften 1982 und 2013 und ist eine feste Station beim alljährlichen Weltcup-Skizirkus. „Harter Tourismus“ nennen das manche. Aber deshalb im Sommer nicht herkommen? Auch in vielen Bergsteigerdörfern der Alpenvereine funktioniert der „sanfte“ Tourismus nur, weil gleich nebenan „harter“ Tourismus praktiziert wird. Die Kategorisierung hilft nicht wirklich weiter.

Ein rundes Dutzend Buslinien lassen sich mit der Schladming Sommercard frei nutzen.


Seinen bergwandernden Gästen bietet Schladming außerdem etwas Feines: die Schladming Sommercard, das Generalabonnement für den öffentlichen Nahverkehr. Ein rundes Dutzend Buslinien lassen sich damit frei nutzen. An der Talstation Planai fahren sie los, in alle Himmelsrichtungen: hinauf nach Ramsau und zur Talstation der Dachstein-Seilbahn, quer durch das Ennstal zwischen Radstadt und Gröbming sowie weit in die Niederen Tauern hinein, zu den Ausgangs- und Endpunkten großer Touren.

Blick vom Greifenberg über den Klafferkessel mit seinen Bergseen und der traumhaft gelegenen Ignaz-Mattis-Hütte. Foto Axel Klemmer
Faszinierend: Der Blick in den Klafferkessel mit seinen Bergseen. Foto: Axel Klemmer


Auch mit den Seilbahnen darf man fahren. Die drei Schladminger Haus- und Skiberge heißen Kaibling, Planai und Hochwurzen: runde Wald-, Wiesen- und Pistenberge, überspannt mit Liftstützen und Drahtseilen, durchzogen von grasgrünen Bändern, die ins dunkle Fichtengrün gefräst wurden. Wer hier heraufkommt, bleibt gewissermaßen in der Stadt oder eben am Rand der Stadt – in einem großen Freizeitpark mit Spielplätzen und Spazierwegen für Menschen jeden Alters. Natur ist aus dieser Perspektive die Kulisse am nahen und ferneren Horizont: im Norden die imposante Dachstein-Skyline, im Süden die Niederen Tauern.

Gipfelpanorama vom Rötelstein mit dem Torstein im Hintergrund. Foto: Axel Klemmer


Und damit zurück zum Anfang und auf den Hauser Kaibling. Natürlich habe ich meine „Hufeisentour“ hinüber zur Planai gemacht. Sieben Stunden Gehzeit, insgesamt 800 Höhenmeter im Aufstieg sind wirklich kein ungewöhnliches Tagespensum für eine Bergwanderung. Unterwegs traf ich nicht sehr viele Menschen und genoss wunderbare Ausblicke auf die typische Tauernlandschaft, ein dunkles, schwer überschaubares Gewirr aus Zacken, Rücken, Kuppen und Hörnern aus Kristallingestein, überzogen von Wald und Gras. Die Route war zum Teil überraschend anspruchsvoll, vor allem auf dem westlichen Ast des „Hufeisens“, hinter dem Höchstein. Der Stadt zunächst noch völlig entrückt, näherte ich mich ihr wieder über einen schmalen, ruppigen und landschaftlich großartigen Steig, bevor ich zuletzt auf der Planai ankam und hinab in die Stadt gondeln durfte, vor mir das große Dachsteinkino – das ich natürlich auch aus der Nähe erleben wollte. Darum nahm ich anderntags den Bus hinauf zur Talstation der Gletscherbahn, deren Nutzung auch in der Sommercard inbegriffen ist. Im September 2023 war sie jedoch außer Betrieb, die Bergstation wurde umgebaut. Man kann dort allerdings auch sehr gut zu Fuß aufsteigen: von der Talstation in einer langen Querung hinüber zur Dachsteinsüdwandhütte und dann hinein ins steile Kar der Schwadering. Der Steig ist erstaunlich gut zu begehen, die befürchtete Wühlerei im Schutt blieb aus. Über den abschließenden kurzen Klettersteig kraxelte ich hinauf in die Hunerscharte unterhalb der Bergstation, wo im Herbst 2023 ein riesiger Kran stand. Darunter, auf dem Hallstätter Gletscher, hat man im selben Jahr den Skibetrieb eingestellt und die Lifte abgebaut. Nicht das kleinste bisschen Schnee lag auf den Eisflächen, abgesehen von ein paar kümmerlichen Schneedepots unter weißen Planen. Wenige Tage später hätte eigentlich die berühmte Gletscherloipe eröffnet werden sollen – eine bizarre Vorstellung. Ich machte noch einen Abstecher auf den Kleinen Gjaidstein, von dem man bei schönem Wetter die Menschenkette auf dem Schulter-Klettersteig zum Gipfel des Hohen Dachsteins beobachten kann. Der „klassische“ Zustieg über die Randkluft ist im Sommer kaum noch möglich.


Über die faszinierende Steinwüste des oberen Dachsteinplateaus wanderte ich anschließend hinüber zur Feisterscharte und, weil es schon spät war, über das Guttenberghaus hinab nach Ramsau. Schöner, aber länger ist der Abstieg über den Silberkarsee und durch die Silberkarklamm hinab zur Bushaltestelle vor der bekannten Lodenwalke, einer Produktionsstätte von Loden mit langer Tradition.
Um das ganz große Dachsteinspektakel zu genießen, sollte man an der Dachsteinsüdwandhütte noch einen anderen Weg einschlagen. Er führt unter den himmelhohen Südwänden entlang zum Tor, wo der ohnehin etwas mühsame Aufstieg in den Einschnitt wegen der zahllosen Abkürzer stellenweise in einem üblen Zustand ist. Stollenreifen der Mountainbikes zerstören Wege? Profilsohlen der Wanderschuhe können das genauso – und sie tun es auch. Hinter dem Tor zieht die Wegspur, nun wieder wunderschön, hinüber zum grünen Sulzenhals, wo der steile Aufstieg hinauf zum Rötelstein ansetzt. Dieser ist durch seine isolierte, nach Süden vorgeschobene Lage eine Aussichtskanzel ohne gleichen. Blickfänge im Norden sind der gigantische Torstein mit dem Windlegergrat, einer der ganz großen Felsrouten der Ostalpen (52 Seillängen!) und der kuriose Felsturm der Bischofsmütze. Im Süden spannt sich am Horizont die große Tauernkulisse auf. Dass man sich das fantastische Rötelstein-Panorama mit gar nicht mal so vielen anderen Menschen teilen muss, liegt daran, dass beide Zustiege zum Gipfel unangenehm sind, sehr rau, steil und splittrig. Wer nach dem Abstieg wieder die Almböden erreicht hat, atmet auf und steigt unten in Filzmoos dankbar in den Bus zurück nach Ramsau.

Busse und Bergbahnen ermöglichen rund um Schladming einen problemlosen Bergurlaub ohne eigenes Auto. Foto: Axel Klemmer


Der Wechsel vom Kalk zurück ins Kristallingestein der Niederen Tauern ist danach umso reizvoller. Auf der Hochwurzen beginnt der Höhenweg zur Ignaz-Mattis-Hütte über die Giglachseen. Er bietet alles, was ein Höhenweg bieten kann: Weite und Nähe in schönster Abwechslung, Gras, Steine, Seen, eine sonnige Hüttenterrasse … Die Tour endet an der Ursprungalm, einer Art Freilichtmuseum auf 1600 Meter Höhe, Endhaltestelle der Wanderbuslinie 972 von Schladming und Ausgangspunkt einer anderen lohnenden Überschreitung: an den Giglachseen vorbei und über die Rotmandlspitze – auch so ein toller Ausichtsberg – zur Keinprechthütte. Den weiteren Abstieg ins Obertal zur Bushaltestelle an der Eschachalm kann man mit einem Umweg über den schönen Duisitzkarsee mit seinem Hüttenensemble verlängern.

Tipps für den Bergurlaub

  • Klettersteig Dachstein: Überschreitung des Hohen Dachstein (2995 m) ab Hunerkogel über Seethalerhütte und Schulter (A/B) mit Abstieg über den Westgrat (A/B).

  • Klettersteig für Fitte: Die Kombination der Routen „Anna“ (D/E), „Johann“ (D/E), und Schulter ergibt die sehr lange und schwierige „Dachstein Super Ferrata“.

  • Mit Kindern: Märchenweg Rohrmoos

  • Stadtmuseum Schladming

  • Für heiße Tage: Naturbad Pürgg


Nebenan, im Untertal, hält der Bus unter dem viel besuchten Riesachwasserfall. Morgens ist es auf dem Weg durch das Tal zur Gollinghütte und über den hohen, steilen Westhang hinauf zum Greifenbergsattel noch schattig. Vom nahen Greifenberg schaut man dann hinab ins Allerheiligste, in den Klafferkessel mit seinen ungezählten Seen, Tümpeln, Pfützen und murmelnden Bächen. Es sind nicht wenige Menschen, die den stundenlangen Anmarsch auf sich nehmen, auch viele Einheimische, dazu kommen einige mit großen Rucksäcken, die beim Weitwandern sind. Der Klafferkessel ist kein Geheimtipp, aber er lohnt sich trotzdem. Man könnte hier oben Stunden verbringen auf der Suche nach den besten Fotostandpunkten. Wie gesagt, man könnte. Wer den öffentlichen Nahverkehr nutzt und keine Hüttenübernachtung einplant, darf beim Abstieg über die Preintalerhütte und am Riesachsee vorbei zum Ausgangspunkt nicht trödeln. Die ersten Busse fahren gegen acht Uhr in Schladming los, das wäre gerade noch okay. Aber die letzten Busse fahren aus den Tälern um siebzehn Uhr schon wieder zurück, und das ist angesichts der oft langen Gehzeiten ziemlich früh – vielleicht zu früh. Kondition ist gefordert. Was man hier macht, ist also wohl doch: Bergsport.