Panoramablick von der Selbstversorgerhütte Casera Canin über das Resia-Tal
Von der Selbstversorgerhütte Ricovero Casera Canin blickt man weit über das Resia-Tal. Foto: Marco di Lenardo
Benečija - Julische Voralpen

Wandern zwischen Natur und Kultur

In den Bergtälern Resia, Torre und Natisone in der Region Friaul-Julisch Venetien ist eine grenzüberschreitende Initiative für sanften Tourismus entstanden. Sie hat das Ziel, den Naturschatz wie das Kulturerbe des „Benečija“ genannten Gebietes bekannter zu machen.

Im Friaul gibt es einige Ecken, Dörfer und Gebirgsstöcke, die in Deutschland kaum bekannt sind. Die Berge sind oft wild und wenig begangen, während die Talschaften auf eine bewegte Geschichte zurückschauen. Ob das auch für die Julischen Voralpen gilt, soll eine Recherchereise klären, die das Tourismusbüro „Benečija“ ausgearbeitet hat. Was unter diesem klingenden Namen zu verstehen ist, lässt sich auf der Webseite benecija.eu nachlesen: „Das Gebiet zwischen den Tälern Natisone/Nediške doline, Torre und Resia ist auch unter dem Namen Benečija/Benecia bekannt, einer Kurzform von Beneška Slovenija, was ins Italienische mit Slavia Veneta übersetzt wird …“

Der Name Benečija greift also die weit verbreitete Zweisprachigkeit auf, mit der slowenische und friaulische Sprachminderheiten hier seit Jahrhunderten leben und die Kultur prägen. Und er erinnert an die Rolle der Republik Venedig, die über 350 Jahre lang (bis 1797) die Region beherrschte, den örtlichen Gemeinden aber Selbstverwaltung ermöglichte.

Im Val Resia

Reist man von Kärnten ins Kanaltal, zweigt bei Resiutta eine schmale Straße ins Val Resia ab, führt entlang des Resia-Flusses nach San Giorgio/ Na Bili und erreicht Prato/Ravanca. Dort treffe ich Antonietta Spizzo, die den Kontakt vermittelt hat und dolmetschen wird, und Sandro Quaglia. Der stammt aus Resia, ist der operative Kopf von Turismo Benečija und, wie sich schnell zeigt, ein wandelndes Lexikon in Sachen Geschichte und Kultur des Tales. Auf die zweisprachigen Ortsschilder angesprochen, erklärt er: „Wir haben slawische Wurzeln und sprechen einen alten slowenischen Dialekt, der von Ort zu Ort variiert. In San Giorgio, dem ältesten Dorf im Tal, ist er anders als hier in Prato. Prato ist übrigens ein "paese voluto" (ein gewolltes Dorf), das auf Venedig zurückgeht. Damals wurde die Kirche und der Friedhof hierher verlegt - dann folgten auch die Menschen. Das Leben in Resia war stets hart, unsere Vorfahren mussten viel arbeiten und sich mit wenig begnügen.“ Trotzdem stieg die Bevölkerungszahl an. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts an die sechstausend Menschen das Tal bevölkerten und eine starke Abwanderung einsetzte. Heute leben noch gut neunhundert Menschen hier.

"Wir haben slawische Wurzeln und sprechen einen alten slowenischen Dialekt, der von Ort zu Ort variiert."

Die Bergmassive des Monte Plauris (1958 m) und des Monte Musi (1869 m) begrenzen Resia im Süden. Nach Osten folgt dem Pass Sella Carnizza (1086 m) der Höhenzug vom Monte Nische bis zum Monte Guarda (1720 m), bevor es nördlich davon deutlich hochalpiner wird: Nach Baba Piccola und Baba Grande (2160 m) erreicht der Monte Canin eine Gipfelhöhe von 2587 Metern. Seit 1996 bilden diese Bergketten den Naturpark Julische Voralpen, dessen Besucherzentrum mit Ausstellung zu Geographie, Geologie, Flora und Fauna gegenüber der Kirche von Prato steht. Den Park kennzeichnen üppige Wälder, weitläufiges Hochgebirgsgrasland und eine unglaublich vielfältige Flora: Über 1200 Pflanzenarten kommen vor, was auch daran liegt, dass die Julischen Voralpen zu den niederschlagsreichsten Orten Europas zählen.

Vom Örtchen Lischiazze aus unternehmen wir einen kleinen Spaziergang. Durch prächtigen Buchenwald geht es zum „Fontanone Barman“, einem großen Wasserfall, über dem sich die tausend Meter hohe Nordwand des mehrgipfeligen Monte Musi aufbaut. Sein oberer Teil ist verkarstet, und die Niederschläge fließen oberirdisch in Steilrinnen ab oder sammeln sich in unterirdischen Höhlen, wo zahlreiche Quellen entspringen. Der Fontanone Barman ist die wichtigste und stürzt über siebzig Meter Fallhöhe in ein blaues Becken – ein beeindruckendes Schauspiel und „ein Kraftort, der auch in unseren Legenden und Liedern eine wichtige Rolle spielt“, wie Sandro erklärt.

Über dem Fontanone Barman mit seinen Wasserfällen baut sich die Nordwand des Monte Musi auf. Foto: DAV/Georg Hohenester

Zurück am Parkplatz nehmen wir das kurvige Bergsträßchen zur Sella Carnizza und kehren fürs Abendessen in der „Baita al Botton d’Oro“ im Almdorf Stavoli Gnivizza ein. Früher verbrachten die Familien mit ihrem Vieh den Almsommer hier oben. Heute sind viele der massiv gebauten Häuschen schön hergerichtet. Im kleinen Innenraum genießen wir Gerichte der regionalen Küche und bekommen zum Abschluss einen musikalischen Live-Act serviert.

Die traditionelle Musik des Val Resia wird auf Geige (Citira) und dreisaitigem Cello (Bunkula) gespielt.

Der Wirtssohn greift seine Geige, Sandro das Cello und beide spielen im Duo einige traditionelle Lieder. Die Musik klingt eigentümlich, hat keltische Wurzeln, wobei die Geige die Melodie vorträgt und dabei mit einem Bein der Takt geschlagen wird, während das Cello den Bass und Gesangspart beisteuert. „Die Liedtexte kreisen um Natur, um Tiere und besondere Plätze im Tal“, erklärt Sandro. „Normalerweise spielen und singen mehr Personen und es wird dazu getanzt. Besonders zu Festen oder zum ‚Püst‘ (Karneval). Die Musik ist Hunderte Jahre alt und ein wichtiger Teil unserer Kultur. Sie wird in der Schule unterrichtet, und auch die Instrumente werden im Tal gebaut.“

Casera Canin & Malga Coot

Am nächsten Vormittag führt Ivan, ein Kollege von Sandro, die geplante Wanderung im Canin-Gebiet. Und aus dem Val Aupa kommt Kaspar Nickles dazu, um uns zu begleiten. Der Schafzüchter und Touren-Guide betreibt mit seiner Frau Marina im Weiler Drentus oberhalb des Dorfes Dordolla den Hof „Tiere Viere“. Er, Antonietta und ich kennen uns von früheren Friaul-Recherchen. Von Coritis (651 m) führt Weg 642 durch den jungen Bergwald hinauf, zieht über die Hänge in der Südwestflanke des Canin, quert Wasserläufe und Geländeeinschnitte und leitet nach guten zwei Stunden durch grüne Matten zum Ricovero Casera Canin (1443 m) auf einer Wiesenfläche. Das als Selbstversorgerhütte hergerichtete Gebäude ist stets offen, hat Platz für sieben Personen und bietet einen herrlichen Blick über das Resia-Tal.

Die fast täglich übliche Wolkenbildung um den Canin hat eingesetzt, Regen ist angesagt.

Nach kurzer Pause steigen wir zügig in südöstlicher Richtung ab bis zur Alm Berdo di sopra. Hier kreuzt Weg 731 und leitet zur Biwakschachtel Costantini hinauf, von der sich Baba Grande und Canin besteigen lassen – beides anspruchsvolle Touren am Grenzkamm zu Slowenien und auch Teil der Alta Via Resiana, die in einer weiten Schleife über die Gipfel des Tales führt. Wenig später ist die Malga Coot (1190 m) erreicht, wo wir etwas verspätet mittagessen. Das restaurierte große Almgebäude mit schöner Terrasse ist auf engem Sträßchen von Coritis bis auf 20 Minuten Fußweg anfahrbar. So können auch weniger wanderaffine Gäste die ruhige Lage im Talschluss genießen.

Stippvisite ins Val Torre

Von Prato aus wechseln wir ins Val Torre. Wegen des sturzflutartigen Regens ist das Sträßchen über die Sella Carnizza keine Option. So geht es talauswärts, einmal um die Berge herum und von Tarcento wieder in die Berge hinein, durch Pradielis/Ter, an der Quelle des Torre-Flusses vorbei zum Rifugio Pian dei Ciclamini (795 m), das wir nach eineinhalbstündiger Fahrt erreichen. Die stattliche Hütte liegt im Alta Val Torre – und Luftlinie keine acht Kilometer von Prato entfernt, zwischen der Musi-Kette und dem Monte Briniza/Gran Monte (1636 m), dem nächsten Massiv im Süden. Sie ist ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge und Exkursionen im Naturpark, und wer gerne klettert, findet in fußläufiger Entfernung zwei Klettergärten. Uns bleibt leider nur der Abend, den wir im Gespräch mit Hüttenwirt Simone Gonano verbringen.

Das gepflegte Rifugio Pian dei Ciclamini liegt im Alta Val Torre, zu Füßen der Monte-Musi-Kette; von dort aus lässt sich auch der Naturpark Julische Voralpen erwandern. Foto: DAV/Georg Hohenester

Anderntags steht nach dem Transfer nach Montemaggiore/Brezje südlich des Gran Monte die letzte Wanderung an. Wir packen unser Regenzeug ein, starten die Tour entlang der Quellflüsse des Natisone ins Dorf Prossenicco/Prosnid und steigen auf dem wirklich rutschigen Weg 744 steil zum Lemagna-Fluss hinab, den die „Ponte Napoleone“ überspannt. Jenseits geht es durch naturbelassene Wälder zum Rio Bianco weiter, einem Quellfluss des Natisone, der mit einigen Schritten überquert ist. Bald wird der Steig zum Wirtschaftsweg und führt an verlassenen Höfen vorbei. Noch einmal durchwaten wir den jetzt deutlich breiteren Rio Bianco, dann mündet von Norden der Rio Nero ein. Ab hier bilden beide Flüsse den Natisone/Nadiža, der für einige Kilometer auch den Grenzverlauf markiert. Auf der Straßenbrücke Ponte Vittorio stehen wir schließlich direkt an der Grenze und fahren die letzten Kilometer in Ivans Wagen nach Prossenicco, wo wir im Agriturismo Brez Mej einchecken.

Nachmittags folgt eine Führung durch das beschauliche Dorf. Wir besichtigen die zum Hostel umgebaute ehemalige Dorfschule, die Kirche mit ihrer außergewöhnlichen Madonna-Figur, spazieren durch die Gassen, an sanierten wie verfallenden Häusern vorbei, und nehmen einen Aperitivo in der Osteria Al Centro.

Der Wirt erzählt, dass in den 1960er Jahren neunhundert Menschen in Prossenicco lebten, während es heute noch fünfzehn sind.

Alan Cecutti, der Chef unserer Unterkunft, war schon als Kind oft in Prossenicco. Seine Mutter, die tatkräftig in der Küche mitarbeitet, stammt aus dem Dorf. Abends setzt sich Alan an den Tisch und erzählt, dass er schon immer gerne in den Bergen war. „Irgendwann beschloss ich dann, auch hier leben und den Agriturismo aufbauen zu wollen – Brez Mej, das heißt ‚ohne Grenzen‘.“ Seit 2017 ist Alan auch Bürgermeister der Comune Taipana: „Dazu gehören neben Prossenicco acht weitere Fraktionen mit insgesamt sechshundert Menschen. Ich bin viel unterwegs von Dorf zu Dorf – es gibt immer etwas zu tun“, schließt er, entschuldigt sich und bricht auf zu einer Abendveranstaltung. So viel unaufgeregtes Engagement ist beeindruckend und es scheint in den Tälern der Benečija ziemlich verbreitet zu sein. Früher, in Zeiten des Eisernen Vorhangs, mag dieses Grenzgebiet am Ende der Welt gelegen haben. Heute ist die Trennung längst überwunden und die Menschen können wieder vom Reichtum ihrer Kulturkreise profitieren. Dazu bieten die Julischen Voralpen ein unglaubliches Potenzial für alle, die es lieben, eine naturbelassene Bergwelt zu erkunden.

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