Marlies Urban-Schurz leitet das Projekt mItklettern der DAV-Sektion München im sektionseigenen Kletter-und Boulderzentrum München West (Gilching). Dabei profitiert sie von über 30 Jahren eigener Erfahrung im Sportkletterbereich. Privat findet man sie eher auf der Sonnenseite als in Eis und Schnee, meist begleitet vom Vierbeiner Joe.
Erstmal, wieso der Name mItklettern?
Das große I steht für Inklusion. Seit Mai 2021 bieten wir im DAV-Kletterzentrum Gilching gemeinsame, inklusive Klettermöglichkeiten für Sportler mit und ohne Behinderungen an.
Was möchtet ihr mit dem Projekt mItklettern erreichen?
Ziel ist das Klettern miteinander auf Augenhöhe, sodass Menschen mit Behinderungen, die nicht selten isoliert in ihren Einrichtungen leben und arbeiten, eine Möglichkeit haben, in der Gemeinschaft der Bergsteiger*innen, der Kletterer*innen mitklettern zu können. Das bedeutet, Teil vom Freizeit- und Breitensport oder auch Spitzensport zu sein. Genauso lässt sich das aber auch umdrehen. Über den gemeinsamen Sport können zum Beispiel Geschwister oder Freund*innen einen neuen Weg der Kommunikation finden und haben dazu auch noch Spaß.
Insgesamt finde ich, dass genau das die gesellschaftliche Aufgabe eines Vereins ist. Nämlich, die unterschiedlichsten Mitglieder einer Gesellschaft zu inkludieren, zum Beispiel Menschen mit oder ohne Behinderung, Kinder oder Senioren.
Was findest du kann Klettern als Inklusionssport verglichen zu anderen Sportarten?
Ich würde da keinen Unterschied machen. In anderen Sportarten kann man genauso tolle inklusive Angebote machen. Ich finde nur, dass Klettern und Bergsteigen auch einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe leisten sollte und ja auch wunderbar kann.
Mir ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass das Inklusionsprojekt mItklettern kein therapeutisches Klettern ist. Es geht eben nicht nur darum, Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu bieten, hier zu klettern, sondern ein Miteinander für Menschen mit und ohne Behinderung zu schaffen. Denn das bedeutet letztlich Inklusion.
Was empfindest du bei dem Projekt als besonders herausfordernd?
Die erste Herausforderung war, den Begriff Inklusion wirklich zu verstehen, um ihn dann auch umsetzen zu können. Über mehrere Schnupperkurse haben wir dann versucht, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie wir Gruppen bilden können, in denen alle auch zu ihrem Recht kommen. Gruppen, in denen eine Person ohne Beeinträchtigung nicht nur die sichernde Person ist, sondern auch ihre 6+ klettern darf. Das erfordert viel Fingerspitzengefühl. Da gehört es auch dazu, dass man ab und an eine Absage erteilen muss. Wenn es zum Beispiel im Miteinander nicht funktioniert. Oder sich die Gruppenzusammensetzung zu sehr auf Menschen mit Behinderungen konzentriert, sodass Menschen ohne Behinderungen nicht mehr zu ihren Klettermöglichkeiten kommen.
Eine Hürde sind aktuell auch die Zugangsvoraussetzungen zur Sportstätte. Stichwort Barrierefreiheit - die haben wir hier in der Kletterhalle Gilching leider noch nicht. Langfristig ist das unser Ziel. Im Außenbereich hat die Sektion München jedoch bereits Möglichkeiten für eine barrierefreie Nutzung geschaffen. Eine weitere Herausforderung ist der Routenbau. Man muss geeignete Kletterrouten anbieten, bei denen auch ein Mensch mit Behinderung die Griffe und Tritte erreichen kann. Bei einem Rollstuhlfahrer darf zum Beispiel der Abstand zum Boden oder auch die Entfernung zwischen den Griffen nicht zu weit sein.
Auf was muss denn beim Schrauben einer inklusiven Kletterroute geachtet werden und wie viele Routen gibt es in Gilching?
Momentan haben wir in Gilching drei inklusive Routen (Stand: Mitte November 2021). Beim Routenbau versuchen wir zum einen, vorhandene leichte Routen zusätzlich mit Griffen zu versehen, damit auch Menschen mit Behinderungen die Routen klettern können. Zum anderen schrauben wir eigene Inklusionsrouten. Das Schrauben dauert im Moment noch etwas länger, da wir eben immer wieder testen und nachjustieren müssen. Aber das Schöne ist, dass sich die Inklusionsrouten auch für Kinder oder Senioren eignen und somit viele davon profitieren können.
Neben den Seilkletterrouten gibt es in der Halle auch Boulder. Bouldert ihr in der Gruppe auch?
Eher weniger. Bouldern ist nur ganz eingeschränkt inklusiv möglich, weil zum Beispiel Menschen mit einer körperlichen Einschränkung oder einer geistigen Behinderung oft nicht über die Körperkontrolle verfügen, die das Bouldern durch sein ständiges Abspringen erfordert. Durch das Abspringen führt das Bouldern ja schon bei Menschen ohne Behinderungen oft zu Verletzungen. Dass sich Bouldern nur sehr begrenzt inklusiv eignet, haben wir aber auch erst durch Erfahrungen lernen müssen. Was wir in Gilching versuchen, ist die Boulder nach Möglichkeit mit Seil abzusichern.
Auf was müsst ihr generell beim Inklusionsklettern achten? Habt ihr eine spezielle Sicherungsausrüstung?
Damit haben wir uns stark auseinandergesetzt. Das eine ist die Ausbildung der Trainer. Dazu haben wir auf dem Lehrgangswochenende vom 12.-14.11.2021 den DAV-Trainerlehrgang "Trainer C Klettern für Menschen mit Behinderungen" erfolgreich abgeschlossen, um eine adäquate Betreuung unserer Gruppen zu gewährleisten. Für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, haben wir uns einen Flaschenzug angeschafft. Selbst wenn es nur drei Meter sind, die sie klettern, können sie so trotzdem den Boden der Tatsachen verlassen und das Gefühl in der Höhe und die Reaktion des eigenen Körpers darauf spüren. Außerdem nutzen wir als Zusatzequipment Brustgurte, um die Körperstabilität zu erhöhen. Aber das war’s dann auch, mehr braucht man eigentlich nicht.
Wie läuft das Sichern in der Gruppe ab? Dürfen alle Teilnehmenden sichern?
Ganz oft sichern wir in einer Dreierseilschaft. Das bedeutet einer klettert, der Zweite sichert und die dritte Person sichert am Bremsseil nach. So handhaben wir das aber auch in unseren regulären Breitensporttrainings oder in den Ausbildungsgruppen, vor allem wenn die Teilnehmenden noch am Anfang ihrer klettersportlichen Ausbildung stehen. In der Inklusionsgruppe ermöglichen wir dadurch auch denjenigen das Sichern und eine Teilhabe im Team, die es alleine nicht schaffen würden. Hier gilt jedoch immer: Die letztendliche Verantwortung trägt der Trainer oder die Trainerin. Er oder sie müssen die kletternde, aber auch sichernde Person im Blick haben und einschätzen können, was der oder die Einzelne leisten kann.
Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb ihr eher kleine Gruppen bildet?
Genau, wir haben einen anderen Betreuungsschlüssel. In den Kletterkursen für Erwachsene sind es sechs Erwachsene und ein Trainer. In unserer Inklusionsgruppe setzen wir auf drei Personen einen Trainer ein.
Dadurch ist das Projekt bestimmt auch mit einem deutlich höheren Aufwand verbunden. Wie stemmt ihr das?
Das Projekt mit den verschiedenen Gruppen und dem inklusiven Routenbau funktioniert nur dadurch so gut, weil die Sektion München einen eigenen Projektetat eingestellt hat, sodass jemand wie ich das Projekt hauptamtlich betreuen kann. Neben der großzügigen Unterstützung der Gemeinde Gilching sind wir auch sehr dankbar, Förderzuschüsse von der Aktion Mensch zu erhalten. Denn wenn man inklusives Klettern betreiben möchte, muss man sich auch um Fördermöglichkeiten kümmern. Geld ist eine starke Basis, realisierbar ist das Projekt aber vor allem durch das tatkräftige Engagement unserer Trainer und Ehrenamtlichen, die einen großen Arbeitseinsatz leisten und mit viel Herzblut dabei sind.
Wo wir gerade bei den Ehrenamtlichen sind, was beinhaltet denn das Ausbildungsprogramm, um so eine Inklusionsklettergruppe zu betreuen?
Getragen wird das Projekt von sechs qualifizierten Trainern, wobei wir in der Gruppenarbeit viel Unterstützung von unseren Ehrenamtlichen erhalten. Zwei weitere Trainer befinden sich gerade noch in der Ausbildung. Für die Ausbildung „Trainer C Klettern für Menschen mit Behinderung“ braucht es zunächst die Sektion, die das Einverständnis gibt und die auch Bedarf hat, diese Trainer in der Sektionsarbeit einzusetzen. Das erste Modul umfasst den Kletterbetreuer, also den Basisschein fürs Indoorklettern. Den braucht es, um als Trainer in der Halle arbeiten zu können. In einem einwöchigen zweiten Modul werden verschiedene Seiltechniken und verschiedene Formen von Behinderungen vorgestellt. Dabei sollen die Teilnehmenden auch selbst erfahren, wie es ist, blind zu klettern oder beim Klettern nur ein Bein einsetzen zu können. In den Kursen müssen sie sich später ja auch reinfühlen können, wie Menschen mit Behinderung ihren Körper trotz Beeinträchtigung an der Wand bewegen können. Und dann folgt ein einjähriges inklusives Praxisprojekt, das zu dokumentieren ist. Das Prüfungsmodul bildet den Abschluss der Ausbildung. Neben dem Vorstellen der Projektarbeit muss eine praktische Prüfung zur Seiltechnik absolviert und eine Gruppe exemplarisch inklusiv anleitet werden.
Vielen Dank liebe Marlies für den spannenden Einblick in Euer Projekt!
Weitere Informationen
Die Sektion München bietet in der Kletterhalle Gilching regelmäßig betreute Schnupperangebote für Menschen mit Behinderung an. Inklusive Klettertreffs gibt es wöchentlich sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Interessierte Kletter*innen oder ehrenamtlich Helfende dürfen sich für weitere Infos gerne an die Sektion München wenden.
Für Presseanfragen zum Inklusionsprojekt mItklettern steht Markus Block (Markus[Punkt]Block[Klammeraffe]alpenverein-muenchen[Punkt]de), Öffentlichkeitsarbeit Sektion München, gerne zur Verfügung.