Füße sind das Fundament unseres gesamten Körpers, dementsprechend lassen sich diverse Beschwerden des Bewegungsapparates auf Fußfehlstellungen zurückführen. Doch im Alltag behandeln wir Probleme wie Knie-, Hüft- oder Rückenschmerzen häufig, ohne unsere Füße mit einzubeziehen. Warum das so ist, weiß der Fußkartograph Carsten Stark, der an einem Fußscan wie auf einer Landkarte ablesen kann, wo der Schuh wirklich drückt. „Unsere Füße haben in Industriegesellschaften ein verkümmertes Ansehen. Um sie vor Verletzungen, vor Kälte oder ungeeigneten Untergründen zu schützen, packen wir sie in Schuhe. Was sich dann in den Schuhen abspielt, darauf wird weniger geachtet: Schuhe drängen die Fußmuskulatur in den Hintergrund. Treten dann Beschwerden auf, sollen Einlagen den Fuß heben und fixieren, was ihn noch passiver macht.“
In seiner Praxis berät Carsten Stark überwiegend Menschen mit chronischen Erkrankungen und Beschwerden. Dabei schaut er nicht nur auf die Bereiche, wo es wehtut, sondern sucht nach der eigentlichen Ursache wie Fehlstellungen oder Missverhältnissen in der Muskulatur. Und zieht Rückschlüsse von den Füßen auf den gesamten Körper, wie es etwa in der asiatischen Heilkunde seit Tausenden von Jahren praktiziert wird.
Das Fundament des Körpers
Unsere Füße sind ausgeklügelte Gebilde mit je 26 Knochen, 33 Gelenken, 29 Muskeln, 107 Bändern und vielen tausend Nervenenden und sensorischen Rezeptoren. Das komplexe Zusammenspiel ermöglicht es uns, aufrecht und stabil zu stehen, das Gleichgewicht zu halten und uns fortzubewegen. Sie sind unser einziger Kontaktpunkt zum Boden und müssen beispielsweise beim Joggen das Drei- bis Vierfache, bei einem Sprung das Sechsfache unseres Körpergewichts tragen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Fehlstellungen an den Füßen bringen den ganzen Körper in Schieflage. Oder wie es Carsten Stark konkretisiert: „Alles, was ‚unten‘ in Dysbalance ist, also zu viel links, zu viel rechts, zu viel vorne, zu viel hinten, zu schwach, zu stark, zu fest, zu weich, muss der Körper oberhalb der Sprunggelenke kompensieren. Folgen solcher länger anhaltenden Ausgleichsversuche des Körpers: Verspannungen, Entzündungen, chronischen Beschwerden.“
Schuhe – die größten Fehler vermeiden
Schuhe nicht online kaufen, sondern im Fachhandel anprobieren. Bei neuen Schuhen auf ein ungewohntes erstes Tragegefühl einstellen.
Da Füße im Tagesverlauf etwas länger und breiter werden, Schuhe in der zweiten Tageshälfte probieren.
Schuhe ausreichend lang (>12 mm Platz an längster Zehe) und breit kaufen, die meisten Menschen wählen ihre Schuhe zu klein und zu eng.
Nach Möglichkeit mehrmals täglich Schuhe wechseln bzw. dieselben Schuhe nicht mehrere Tage hintereinander tragen.
Vermeiden: Hohe Absätze (Belastung für Sehnen und Zehengrundgelenk), spitze Schuhe (Vorfuß eingeengt), Plateausohlen (kein Abrollen möglich), Flip-Flops (Zehen krallen).
Eng zulaufende Socken vermeiden, stattdessen Socken mit separater Großzehe bzw. fußgerecht geschnittene Socken.
Seine langjährigen Erfahrungen zeigen: Frauen haben häufiger Beschwerden am Großzehengrundgelenk (Hallux) und im Vorfuß, Männer an der Achillessehne und im Ballenbereich. Ganz oft kommen jedoch auch Menschen mit Knieschmerzen, Hüftbeschwerden oder Rückenleiden zu ihm in die Praxis, die einen Zusammenhang zwischen ihren Füßen und auftretenden Beschwerden erkennen. „Mögliche Behandlungsschritte folgen dann immer drei Leitfragen: Was kann ich vermeiden, was kann ich ändern und wie kann ich eine Veränderung dauerhaft und positiv stabilisieren?“, sagt Carsten Stark. Und benennt gleich den ersten relevanten Aspekt: ungeeignete Schuhe. „Schuhe sind häufig zu kurz und zu eng, die Füße werden also den Schuhen angepasst statt umgekehrt. Dadurch kommt es zu einem schleichenden Veränderungsprozess an den Füßen, den man erst dann erkennt, wenn die Füße schmerzen. Verordnete Behandlungen sollen dann den Schmerz lindern, auf die Schuhe, in denen man sich Stunden, Tage und Wochen bewegt, schaut trotzdem niemand.“
Schritt für Schritt trainieren
Auch wenn Schuhe vor Verletzungen und gefährlichen Witterungsverhältnissen schützen: ein natürliches Abrollen des Fußes ist nicht möglich – das gilt umso mehr, je stabiler sie sind, etwa bei Sport- oder Bergschuhen. Also nichts wie raus aus den Tretern und barfuß einfach draufloslaufen? Keinesfalls, warnt Carsten Stark: „Man geht nicht automatisch richtig, wenn man barfuß geht. Weil wir auf Schuhe geprägt sind und den Gang nie an verschiedene Untergründe anpassen mussten, setzt sich diese Prägung immer wieder durch. Ballengang statt Fersengang, das muss man im wahrsten Sinne des Wortes Schritt für Schritt erlernen. Der Körper muss sich langsam und sanft auf die neue Gangtechnik einstellen.“
Beim Ballengang setzt der Fuß über den Vorfuß auf, die Ferse wird erst danach abgesetzt. „Durch das Quergewölbe des Fußes und das sanfte, verzögerte Absetzen der Ferse auf den Untergrund habe ich hier zwei wirksame Stoßdämpfer, bevor die Kraft am Knie ankommt“, erklärt der Fußexperte. „Komplett anders ist das, wenn ich über die Ferse aufsetze, denn hier habe ich einen Fersenknochen, der den Stoß direkt aufs Knie, die Hüfte und die Wirbelsäule überträgt.“
Tipp für Barfuß-Wandertouren
Zur Sicherheit immer Schuhe im Rucksack haben.
Pinzette mitnehmen, um mögliche Fremdkörper entfernen zu können.
Nach dem Wandern Füße und Beine auf Zecken untersuchen.
Barfuß nie Weideschutzzäune berühren (elektrische Leitfähigkeit ohne Gummisohle!).
Bei schlechten Witterungsverhältnissen wie Schnee und bei schwerem Rucksack sind Schuhe angesagt.
Nicht nur für die Füße bedeutet Barfußgehen eine Umstellung, der ganze Körper muss sich auf eine neue Gangtechnik einstellen: Die Kräfteverteilung auf den Körper ändert sich, es werden mehr und andere Muskelgruppen beansprucht. Fuß- und Sprunggelenke, aber auch Schien- und vor allem die Wadenbeinmuskulatur werden mehr gefordert. Oberschenkel, Gesäß und Rücken beansprucht richtiges Barfußgehen dagegen weniger, durch den aufrechteren Gang nimmt der Kopf außerdem eine andere Haltung ein und die Halswirbelsäule wird entlastet.
Bei Wanderungen unterhalb der Schneegrenze und bei guten Verhältnissen können „Minimal“- oder „Barfuß“schuhe mit Profilsohle ein Kompromiss zwischen festem Schuh und Barfußgehen sein. Wobei für den passionierten Barfußgeher Stark das Gefühl von Freiheit, die sensorischen Reize und das „Im Hier und Jetztsein“ ganz ohne Schuhe unvergleichlich ist. Ein langsames Herantasten ist aber auch bei diesen Schuhmodellen notwendig, betont der Experte: „Der Krafteinfluss auf Füße, Beinmuskulatur und Körperhaltung ist auch im Minimalschuh immens, somit ist auch hier eine kontinuierliche Steigerung und Anpassung über viele Monate notwendig: Es ist eben kein herkömmlicher Schuh, Sehnen und Bänder brauchen lange, um sich an die neue Belastung zu gewöhnen!“