Er könnte einer dieser kalifornischen Surfer sein, die Haare von der Sonne gebleicht und scheinbar nie gekämmt, blitzende Augen und ein Lächeln, das permanent zwischen guter und sehr guter Laune changiert. Wie muskulös er dabei ist, registriert man erst auf den zweiten Blick, einfach weil er so viel Entspanntheit ausstrahlt. Mit neunzehn wurde Alex Megos über Nacht berühmt: Als weltweit Erster hatte er die Route „Estado Critico“ im spanischen Siurana im Schwierigkeitsgrad 9a onsight gemeistert, im ersten Anlauf und ohne Vorinformationen. Nicht wie üblich erst einmal „projektiert“, also die Bewegungen eingeübt und dann Tage oder Wochen bis zum Durchstieg daran „gearbeitet“, sondern in wenigen Minuten kurzen Prozess gemacht: Onsight ist die Königsdisziplin des Freikletterns, eleganter und idealer geht es nicht.
Einfach nur klettern
„Ich bin ‚Low Budget‘ durch die Welt gereist“, erinnert er sich, „ich habe im Zelt gelebt, so billig wie möglich im Dreck gehaust und wollte einfach nur klettern, es war die Auszeit nach der Schule. Nach ‚Estado Critico’ habe ich ein paar tausend Euro von meinen Sponsoren bekommen und ich dachte: Cool, jetzt kann ich ja noch ein Jahr klettern. Ich war nie der Meinung, dass es jemals zum Profi reichen würde.“
Da jedoch irrte Alex, seit über zehn Jahren ist er mittlerweile als Profi unterwegs, gilt sowohl im Wettkampf als auch am Fels als einer der Besten der Welt. Bekannt ist er aber auch dafür, immer etwas weiter zu denken als nur bis zum nächsten Griff. So nahm er nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine mit seinen Eltern und weiteren engagierten Menschen aus seinem Umfeld fünfzehn geflüchtete Menschen bei sich auf. Und aus dieser Hilfsinitiative entstand ein Nachhaltigkeitsprojekt, das immer noch läuft: Eine der Geflüchteten repariert im Auftrag von zwei fränkischen Boulderhallen Outdoorkleidung. Die Kleidung wird länger getragen – und die Schneiderin aus der Ukraine kann so ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Seine erste 8a knackte er mit vierzehn und von dort bis zur ersten 8c dauerte es keine zwei Jahre. Meist riss er seine Projekte atemberaubend schnell herunter. „Action Directe“ etwa, Wolfgang Güllichs legendäre weltweit erste 9a, gelang ihm in sage und schreibe zwei Stunden und Alexander Hubers berühmte „La Rambla“ (9a+) im zweiten Anlauf: „Wenn ich es drauf angelegt hätte, hätte ich wahrscheinlich auch meine erste 9b viel früher klettern können. Aber ich hatte damals nicht den Eindruck, dass mir das irgendwas bringt.“
Ab 9b jedoch kommt auch er dann nicht mehr ums Projektieren herum, erst recht nicht bei einer Erstbegehung. So fiel seine „Bibliographie“ im französischen Céuse erst nach sechzig Tagen, er bewertete sie mit 9c. Damit galt sie gemeinsam mit Adam Ondras „Silence“ als eine der zwei schwersten Routen der Welt, wurde dann aber von dem Italiener Stefano Ghisolfi auf 9b+ abgewertet. Alex, der noch nie auch nur annähernd so viel Zeit in ein Projekt investiert hatte, trug es mit Fassung: „Er hat für eine der Schlüsselstellen eine andere Sequenz gefunden, die etwas leichter ist. Ich kann ihm ja schlecht böse sein, wenn er eine bessere Lösung findet.“
Man darf ihm glauben, dass dies kein zur Schau gestellter, sondern echter Sportsgeist ist: zwei Jahre zuvor hatten die beiden gemeinsam mit dem Amerikaner Chris Sharma „Perfecto Mundo“ im spanischen Margalef probiert, eine 9b+, die Alex am Ende als Erster löste: „Es macht so viel mehr Spaß, wenn man so etwas gemeinsam angeht. Einerseits pusht es einen natürlich extrem, andererseits wird es auch einfacher, weil zwei oder drei Köpfe mehr Ideen für die schwierigsten Passagen entwickeln, als wenn du allein drin rumhängst. Außerdem tauchst du ja in der Zeit auch total weg in eine abgedrehte Welt aus Fingerlöchern und Zwischengriffen, und wenn du da nicht allein bist, fühlst du dich auf seltsame Weise irgendwie besser verstanden.“
Wer so viele Projekte an den Kletterhotspots der Welt abhakt, ist natürlich entsprechend viel unterwegs. Aus dem ökologischen Impact seiner vielen Reisen hat Alex, der sich wie viele im Spitzensport vegan ernährt, Konsequenzen gezogen: „Früher war die Erderwärmung einfach noch kein so großes Thema. In Spitzenzeiten saß ich sicher fünfzig Mal pro Jahr im Flugzeug, war auch ständig in Australien, Asien und Amerika. Mittlerweile habe ich für mich entschieden, nicht mehr so viel herumzureisen. Es gibt einfach in Europa genug reizvolle Projekte, die ich probieren kann.“
Und im Wettkampfgeschehen? Da lässt er schon mal Wettbewerbe sausen, die nur mit dem Flieger erreichbar sind, was ihn bei der Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris vor eine ziemliche Herausforderung stellte: Er gewann im August 2023 zwar Bronze bei der Kletter-WM in Bern und holte den zweiten Platz in der Disziplin Lead im Gesamtweltcup 2023, das sicherte ihm jedoch noch kein Ticket für Olympia. Und ohne den Qualifikationswettkampf in Shanghai im Mai (und die letzte Qualifikation im Juni in Budapest) wäre eine Teilnahme in Paris vom Tisch gewesen. Zwischenzeitlich war sogar ein Wettkampf in Katar geplant, welcher der Kletterwelt am Ende erspart blieb. Dennoch läuft Alex bei diesem Thema heiß: „Es war ja schon unter aller Sau, dort die Fußball-WM zu veranstalten. Nicht nur wegen der Menschenrechte, sondern es macht einfach keinen Sinn wegen der CO2-Bilanz. Bei der WM haben sie offene Stadien runtergekühlt, das war eine so krasse Energieverschwendung und das wäre beim Klettern genauso gewesen.“
Alex Megos - Highlights
„Estado Critico“ (9a), Siurana 2013; weltweit erste Onsight-Begehung einer 9a-Route
„Action directe“ (9a), Franken 2014
Boulder „Lucid Dreaming” (8C), Bishop 2015
Perfecto Mundo (9b+), Magalef 2018, Erstbegehung
Bibliographie (9b+), Céüse 2020, Erstbegehung
Aktive Teilnahme an Wettkämpfen seit 2006, Debut im Weltcup: 2013
2017: Vizeeuropameister im Bouldern und Vizeweltmeister im Lead
2018: Erster Weltcupsieg Lead in Briancon
2019: Vizeweltmeister Lead
2021: 9. Platz bei den Olympischen Spielen in Tokio
2023: Bronze bei der Lead Weltmeisterschaft in Bern
2024: Teilnahme bei den Olympischen Spielen vom 26. Juli bis 11. August 2024 in Paris
Bei den Spielen in Tokio waren, was vielen missfiel, die Disziplinen Bouldern, Lead und das bei den allermeisten Aktiven eher ungeliebte Speedklettern noch zu einer Kombinationswertung zusammengefasst – Alex war hier einer der wenigen, die sich den Luxus einer laut und deutlich geäußerten Meinung gönnten. Umso mehr freut er sich nun auf Olympia in Paris, wo Speedklettern als separate Disziplin gewertet wird und Bouldern und Lead als Kombination; ein Modus, der einhellig begrüßt wird. Dass der mühsame Qualifikationsmodus für die Verantwortlichen eine Denksportaufgabe ist, leuchtet ihm jedoch ein: „Es ist halt ein Dilemma: Einerseits gibt es den olympischen Gedanken, dass alle Nationen vertreten sein sollen, andererseits heißt es, bei Olympia sind die Weltbesten. Wenn du jetzt aber einfach die zwanzig Weltbesten nimmst, wären mindestens sieben Japaner am Start. Geht aber nicht wegen der Länderquote und wäre auch irgendwie langweilig, es muss stattdessen aus jedem Kontinent einer dabei sein.“
Bei allem Wettkampfgeist standen und stehen Projekte am Fels bei ihm aber nach wie vor an erster Stelle. Die nächste 9b+, sagt er, probiere er nicht mal eben, wenn er nach einem Wettkampf gerade in der Nähe ist. Eher ließe er die Olympia-Qualifikation sausen, um für ein bestimmtes Projekt zu trainieren und es dann anzugehen. Trotzdem hat er sich am Ende für die Spiele qualifizieren können und freut sich auf Paris: „Das wird bestimmt ein richtig cooles Sportevent. Aber ich freue mich auch wieder auf draußen, da habe ich noch so viele Ziele, da reichen hundert Leben nicht aus.“