„Ganz schön viel Arbeit für so einen Zivi, oder?“ An den Spruch eines Hüttengasts erinnert sich Christoph Erd heute noch mit einem dicken Schmunzeln. Das war 2005, auf dem Staufner Haus am Hochgrat in den Allgäuer Alpen. 27 Jahre war Christoph damals jung und frischgebackener Hüttenwirt. Auch wenn mittlerweile einige Jahre ins Land gezogen sind: jung (geblieben) ist Christoph – genau wie seine Frau Ulli – in jeder Hinsicht, das schlägt im Gespräch mit den beiden an vielen Stellen durch. Hinzu kommt jede Menge Herzblut für das Leben auf der und für die Hütte, 14 Jahre haben sie das erfolgreich auf dem Staufner Haus am Hochgrat bewiesen. Und in die vierte Saison gehen sie dieses Jahr auf dem Prinz-Luitpold-Haus am Allgäuer Hauptkamm nordwestlich des bekannten Hochvogels.
In ihrer Allgäuer Heimat sind sie fest verwurzelt, das liegt nicht zuletzt am engen Familienkontakt – vor allem mit Ullis Eltern, in deren Haus sie leben. In einer separaten Wohnung zwar, aber doch irgendwie zusammen, was das Hütten- und Familienleben sehr erleichtert. „Was anfangs eine Vernunftentscheidung war, ist im Nachhinein das Beste für alle gewesen“, sagt Ulli. „Für die Kinder ist es toll, mit Opa und Oma aufzuwachsen. Und für uns macht es alles so viel leichter. Die Kinder sind ja immer auch ein paar Tage unten im Tal.“ Drei Kinder mit verschiedenen Schulplänen und ein Familienleben im Wechsel zwischen Berg und Tal. Wie das funktioniert? Eingespielt und gut organisiert: Ulli steigt am Sonntagabend mit Lina (16), Hannes (14) und Felizia (11) ab und managt Montag und Dienstag den „Talhaushalt“. Mittwoch früh steigt sie wieder auf, die Kinder bleiben zu Hause bei den Großeltern, Freitag nach der Schule fährt der Opa sie bis zur Talstation der Materialseilbahn. Von dort gehen sie zu Fuß und verbringen das Wochenende mit den Eltern, bevor es am Sonntagabend mit Mama Ulli wieder nach unten geht.
Doch wie fing das mit der Hüttenbewirtschaftung eigentlich an? Ulli, gelernte Erzieherin, hatte öfter über Weihnachten eine Hütte mitbewirtschaftet und Gefallen daran gefunden. Und der gelernte Koch Christoph fand es nicht besonders reizvoll, eine Gastronomie im Tal zu übernehmen, „wo es in derselben Straße noch mal drei andere Lokale gibt“. Bei ihrem ersten Bewerbungsversuch – ausgerechnet auf dem Prinz- Luitpold-Haus – hatte es nicht geklappt, doch zwei Jahre später bekamen sie dann den Zuschlag für das Staufner Haus.
Die absolut richtige Entscheidung … und erst einmal eine ganz schön stramme Zeit. Auf der Hütte an der Bergstation der Hochgratbahn läuft der Betrieb bis auf eine kurze Zeit im Frühling und Herbst fast ganzjährig durch und gleich in der ersten Saison war Ulli hochschwanger. Lina ist heute 16, in der „Staufner-Zeit“ kamen auch Hannes und Felizia auf die Welt. „Das war manchmal schon ein bissle wild“, lacht Ulli, „aber du weißt es ja nicht anders, und dafür sind die Kinder immer um dich herum, wir hatten sie immer mit auf der Hütte.“ Kam da auch mal der Einwand von außen, die beiden würden dort oben ja nur arbeiten und hätten zu wenig Zeit? Kein Thema: „Die Kinder hatten ein großes, nettes Team um sich, da hatte immer jemand Zeit zum Spielen. Und welches Kind sieht schon seinen Papa den ganzen Tag? Unseren Kindern hat das richtig getaugt.“ Dass der Nachwuchs nach wie vor viel auf der Hütte ist und gern mithilft, spricht für sich – oder besser gesagt für die Erds!
Kinder werden größer, das war auch einer der Gründe, sich nach einer neuen Hütte umzusehen; das Staufner Haus wäre wohl auf Dauer etwas zu klein geworden. „Und irgendwann denkt man sich, jetzt wäre es vielleicht Zeit, noch mal etwas Neues anzupacken“, sagt Christoph. Allein durch die Lage der neuen Hütte hat sich einiges verändert: Eine reine Sommerhütte wie das Prinz-Luitpold-Haus zu bewirtschaften, da bleibt mehr Zeit für Familienangelegenheiten und die Kinder können ausführlicher ihren eigenen Dingen nachgehen. An den Wochenenden zum Skifahren gehen, oder abends mal weggehen … was Teenager halt so machen. Und auch beruflich gibt es neuen Input: Ulli hat bereits zwei Winter in einem Kindergarten gearbeitet, während Christoph bei der Skiwacht aktiv ist. Und da er nicht nur Koch, sondern auch gelernter Zimmermann ist, hat er den Winter über mehr Zeit für Handwerkliches. Wobei ihm sein Zweitberuf zunächst bei der Baubegleitung auf dem Prinz-Luitpold-Haus zugute kam. Vergangenen Herbst haben sie mit einem umfangreichen Umbau begonnen: Haustechnik, Stromversorgung und eine neue Küche. Auch die Lager wurden etwas geräumiger gestaltet, und neue Möbel und ein Teppich geben dem großen Essbereich im Anbau ein gemütlicheres Ambiente. „Jeder Gast bekommt jetzt seine eigene Matratze und das Gefühl, nicht im Speisesaal essen zu müssen, sondern im Gastraum essen zu dürfen“, beschreibt Christoph die Neuerungen.
Wer das Prinz-Luitpold-Haus kennt, weiß um die bisherigen „Engstellen“, schließlich essen und übernachten an einem schönen Wochenende schon einmal 220 Gäste. So war das auch 2019, vor Corona. Wird einem das nicht auch mal zu viel, wenn auf der Hütte mit so vielen Gästen der Bär steppt? Die Erds wären nicht die Erds, wenn sie darauf nicht die passende Antwort hätten: „Nein, das war richtig cool, wir haben so darauf hingefiebert, dass wir es gescheit voll haben. Und es hat uns Neuen saumäßig Spaß gemacht, das alles zu organisieren.“ Wir und uns, das schließt immer auch das gesamte Hüttenteam mit ein, das beinahe komplett mit auf die neue Hütte übersiedelt ist. Mitgezogen sind auch einige Stammgäste, wenngleich die nicht mehr ganz so oft vorbeischauen – zweieinhalb bis drei Stunden dauert der Aufstieg von Hinterstein durch das schöne Bärgündletal.
Nach nur einer Saison kam die Pandemie, 2020 war die Vollbelegung mit 50 Gästen erreicht, 2021 waren es 70 bis 80 Gäste. Und einmal mehr zeigt sich die positive Grundeinstellung der erfahrenen Wirtsleute, die trotz des immensen Einbruchs ganz gut durch die Pandemie gekommen sind. Zunächst ist da einmal die pragmatische Kalkulation „weniger Gäste, weniger Personal, weniger Lebensmittel“, die geholfen hat. Und natürlich wiederum der reine Sommerbetrieb: Die Öffnungszeiten der Hütte gingen einher mit den jeweiligen Lockerungen der Maßnahmen, im Sommer 2020 kamen sehr viele Tagesgäste. Und 2021 war die Hütte mit Übernachtungsgästen konstant ausgebucht – wenn auch mit deutlich eingeschränkter Kapazität. „Klar, der Umsatz war weniger, aber es war zumindest kein Draufzahlgeschäft“, bilanziert Christoph. Und Ulli ergänzt: „Es sind nicht die besten Jahre, aber wir wissen, dass es auch anders sein kann. Wir haben so lange so viel gearbeitet – da halten wir dann auch mal ein paar Jahre durch.“
Einschnitte wie diese führen im Kleinen wie im Großen nicht selten zum Überdenken vorhandener Muster und Strukturen. 2021 haben Christoph und Ulli den Hüttenbetrieb auf Bio-Ware umgestellt. Nach einem Übergangsjahr, in dem bereits eingelagerte konventionelle Lebensmittel noch verwertet wurden, ist das Prinz-Luitpold- Haus ab der kommenden Saison die erste deutsche bio-zertifizierte Alpenvereinshütte. Auf die Frage, ob der Gedanke in der Corona-Zeit gereift sei, sagt Christoph: „Eigentlich war es eine Idee, die ich von Anfang an für das Prinz-Luitpold- Haus im Hinterkopf hatte. Der Gedanke war auch schon mal zu Staufner-Haus-Zeiten da. Dort war aber immer so konstant viel los, da blieb dann irgendwie keine Zeit, sich in die doch umfangreiche Planung und Umsetzung hineinzufuchsen.“ Was natürlich nicht heißt, dass Ulli und er nicht schon auf der vorherigen Hütte großen Wert auf gute Lebensmittel gelegt hätten. Regionale Erzeugnisse aus kleinen Betrieben waren selbstverständlich, auch wenn da kein offizielles Bio-Siegel drauf war.
Nicht nur die längere hüttenfreie Zeit ließ mehr Zeit, um den nicht gerade geringen Verwaltungsaufwand der Bio-Zertifizierung anzugehen, auch die regionale Versorgung ist auf einer Sommerhütte einfacher zu organisieren – wer es wie Christoph ganzheitlich sieht, kann das eine nämlich nicht wirklich vom anderen trennen. „Früher habe ich Tomaten bestellt, die kamen erst von der Reichenau, später dann aus dem Glashaus in Belgien oder von noch weiter weg. Und du denkst dir: Das taugt mir eigentlich nicht. Du machst das ja auch, weil du überzeugt bist, dass das der richtigere und nachhaltigere Weg ist. Daheim setzt du es um und in der Gastro, wo du eigentlich den größeren Hebel hättest, machst du es nicht.“ Christoph musste aber auch feststellen, dass der biologische Hüttenbetrieb an manch unerwarteten Stellen einige Tücken mit sich bringt. Beispiel Milch. Bio-Qualität gibt es im Allgäu massig, das Problem ist die H-Milch, die er braucht. Schließlich sind die Kühlkapazitäten auf einer Berghütte sehr eingeschränkt und der Verbrauch je nach Wetter viel weniger planbar als im Tal. Beispiel Eier: Die sind in Bio-Version im Einkauf mit 40 Cent das Stück deutlich teurer als konventionelle Ware, Preisspannen, die sich am Ende des Tages auch in der Hüttenkarte widerspiegeln müssen. Eines ist klar: Mal eben schnell „auf Bio machen“, weil es gerade gefragt ist, funktioniert nicht. Neben einem soliden Konzept für den Umstieg muss man auch voll und ganz dahinterstehen. Herzblut eben. Und davon haben Christoph und Ulli jede Menge.