Piz Badile
Steil und elegant zieht die Nordkante bis direkt zum Gipfel des Piz Badile empor: ein Traumziel für Alpinkletternde. Foto: Jörg Bodenbender
Archetyp einer Himmelsleiter

Klassiker: Piz Badile Nordkante

Der Piz Badile ist von Norden betrachtet einer der markantesten Berge des Bergell. Die gebogene Nordostwand erinnerte die Menschen im Tal wohl an eine Schaufel, und so gaben sie dem Berg seinen Namen: Badile (ital. für „Schaufel“). Kein Berg ohne Spitze, also setzten sie noch den Piz oder Pizzo davor. Seither dürfen wir von der Schweizer Seite den Piz Badile, von der italienischen den Pizzo Badile besteigen. Vom Valle Porcellizzo in Italien ist der Berg wesentlich zugänglicher, von hier erfolgte 1867 die Erstbesteigung.

Seinen Ruf als maßgeblicher Bergeller Kletterberg verdankt der Badile allerdings seiner (historischen) Ost- und seiner (moderneren) Westwand. Und natürlich dieser einzigartigen Nordkante: Sie zieht pfeilgerade in Nord-Süd-Richtung bis zum 3308 (auf Schweizer Landeskarten 3309) Meter hohen Gipfel und ist der Archetyp einer kletterbaren Felskante schlechthin. Trotz der bergsteigerischen Anziehungskraft dauerte es bis 1923, als es Alfred Zürcher mit seinem Führer Walter Risch gelang, auf dieser Himmelleiter den Gipfel zu erreichen – damals eine bemerkenswerte Leistung und ein Meilenstein des Alpinismus.

Informationen

Piz Badile

Bekanntester und prominentester Kletterberg im Bergell, 3308 m

Talort: Bondo (823 m)

Startpunkt: Bushaltestelle Promotogno Posta bzw. Parkplatz Crott Alt (870 m)

Übernachtung: Sasc-Furä-Hütte (1904 m), Gianettihütte (2534 m)

Führer: Nichts als Granit, Band 2, Verlag Versante Sud; Plaisir Sud, Band 1, Verlag Filidor

Karte: Schweizer Landeskarte 1:25 000, Blatt 1296, Sciora

Beste Zeit: Juli bis September

Ausrüstung: Alpine Kletterausrüstung, 6 Exxen, lange Schlingen, einige mittlere Klemmgeräte und Keile, 2x50 m Seile, für den Rückweg von der Gianettihütte nach Bondo über Passo Porcellizzo Steigeisen ratsam

Nordkante

Kletterei: 20-25 Seillängen, Wandhöhe 800 hm, Kletterlänge ca. 1200 m

Absicherung: Stände oft BH und geklebte Ringe, auch mobil und NH, dazwischen BH in den schwersten Stellen, ansonsten NH und mobil

Erstbegehung: Alfred Zürcher mit Führer Walter Risch, 4.8.1923

Hüttenzustieg: 5 Std.

Wandzustieg: 1 ½ – 2 Std. von der Sasc-Furä-Hütte (Capanna Sasc Furä) bis zum Anseilplatz (davor auch schon alpines Gelände; teils heikel, wenn nass oder vereist)

Kletterzeit: 7 – 8 Std. (Fun Fact: die schnellsten Begehungen liegen bei unter 45 Minuten)

Mit den Jahrzehnten wurde die Kante auch für gemäßigte Kletter-Fans machbar. 5+ haut heute niemanden mehr vom Hocker und selbst diese Schwierigkeit muss nur an einer sehr kurzen Stelle an den Fels gebracht werden. Wer es nicht schafft, klippt zwei Bohrhaken und macht die Stelle A0. Über weite Strecken steigt man höchstens im vierten UIAA-Grad dahin, den Reibungssohlen vertrauend und meist in der Sonne. Die Kante ist so geneigt, dass sie während des ganzen langen Klettertages Sonne abbekommt und dem Nimbus einer ‚dunklen Nordwand‘ so gar nicht entspricht. Selten muss in die Westseite ausgewichen werden. Ohne wärmende Sonnenstrahlen merkt man dann die Höhe zwischen 2500 und 3300 und es kann doch kalt sein.

Die perfekte Himmelsleiter: 800 Höhenmeter Bergeller Granit bis zum Gipfel des 3308 Metern hohen Piz Badile. Foto: joachimstark.de

Mit dem Bau der Sasc-Furä-Hütte 1960 kam für Badile-Aspirant*innen ein traumhaft gelegener Stützpunkt hinzu, was mehr Menschen an den Berg lockte. Nicht ohne Grund wurde 1970 vom CAI und der italienischen Bergrettung eine Biwakschachtel fast direkt am Gipfel eingeweiht, die 2023 passend zum 100-jährigen Besteigungsjubiläum der Nordkante frisch renoviert wurde. Auch sonst wurde fleißig saniert und renoviert und die Route immer sicherer gemacht: An den Ständen stecken solide Bohrhaken und Abseilringe, auch die italienische Seite erhielt irgendwann eine weitere Abseilpiste.

Basislager für Badile-Aspirant*innen: die Sasc-Furä-Hütte. Foto: joachimstark.de

Unsicherer wurde hingegen das Gelände – glücklicherweise vor allem am Berg nebenan, dem Cengalo. Dort schepperte es in den letzten Jahren immer wieder. 2017 brachen dann rund drei Millionen Kubikmeter Gestein ab, donnerten mit einer Mure ins Tal und sorgten in Bondo für Verwüstungen. Am schlimmsten: Acht Bergsteiger gelten seither als vermisst. Sie wurden wohl auf dem Weg zwischen Sciorahütte und Sasc-Furä-Hütte von den Felsmassen erfasst. Seither ist der relativ kurze Zustiegsweg durch das Bondasca-Tal gesperrt und die Sciorahütte geschlossen. Eine Wiedereröffnung ist für kommendes Jahr geplant. Die Sasc-Furä-Hütte ist bereits seit 2019 wieder geöffnet. Aber eine Bergbesteigung ist trotz Hütte und Bohrhaken wieder ein echtes, großes Unternehmen geworden: Der Zustieg zur Hütte vom Talort Bondo über einen neu angelegten, anspruchsvollen Weg (mit T4 nach SAC-Skala als Alpinwanderweg klassifiziert, weiß-blau markiert) hat sich mindestens verdreifacht und dauert kräftezehrende fünf bis sechs Stunden. Die Gesamtanforderungen sind dadurch deutlich höher als früher, als sich eine Übernachtung auf der Sasc-Furä für schnelle Seilschaften logistisch kaum lohnte; in einer Stunde konnte man zügig vom Parkplatz Laret zur Hütte aufsteigen und war in drei Stunden am Einstieg der Routen der Nordseite. Das ist vorbei.

Tiefblick garantiert: In der Nordkante, die viel Sonne bekommt, nur wenige Passagen verlaufen im Schatten. Foto: joachimstark.de

Walter Pause, der immer gerne zitiert wird, wenn es um Klassiker geht, schreibt in seinem ‚schweren Fels‘, die Badile-Nordkante sei „eine der großartigsten Genußklettereien der Alpen“. Aber dieser Genuss muss verdient werden! Dafür zehrt man – im Gegensatz zu angeblich ebenfalls genussreichem Climbing Fastfood – ein Leben lang davon.

Piz Badile über die Nordkante

Qual der Wahl, Wahl der Qual: Der immense Aufwand des Zu- und Abstiegs führt zu drei logistisch sinnvollen Lösungen mit eigenen Vor- und Nachteilen. Nummer 1 und 2 beginnt in Bondo in der Schweiz, Nummer 3 im Val Masino in Italien. Natürlich kann man auch in Bondo starten und die Tour im Val Masino beenden. Wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, ist dies eine sehr empfehlenswerte Option. Dann stellt sich nur noch die Frage des Gepäcktransports bzw. dessen Minimierung. Allen drei Optionen gemein ist die letzte Zustiegsstunde zur Sasc-Furä-Hütte, der Zustieg zur Wand und natürlich die Kletterroute selbst.

Von der Sasc-Furä-Hütte leiten zunächst Pfadspuren immer in Richtung der offensichtlichen Kante, die sich irgendwann verlieren. Bei schlechter Sicht und Dunkelheit kann dies problematisch werden. Es empfiehlt sich, am Nachmittag zuvor den Zustieg zu erkunden. Westlich der sogenannten Plota geht es evtl. über ein Restschneefeld und in leichter Kraxelei (II) auf den Vorbau am Grat und zu einem guten Anseilplatz auf ca. 2540 m. Zunächst auf der Ostseite der Wand höher in eine Scharte, dann offensichtlich der Kante folgen. Gebohrte Stände weisen den Weg. Die Seillängen sind meist 30 bis 45 Meter lang, manchmal auch länger. Die nominelle Schlüsselstelle befindet sich ausnahmsweise westlich der Kante oberhalb eines kurzen Kamins. Eine kurze, steile Wand leitet dann mit mehreren Bohrhaken nach links aufwärts zurück zur Kante. Die letzten hundert Meter zum Gipfel sind relativ flach und verblockt und es gibt keine Bohrhaken mehr. Und dann steht man nicht am Gipfelkreuz, sondern an einem eigenaratigem, Metallspitz.

Taktik ist alles: drei Varianten für die Nordkante

1) Bondo - Badile - Gianettihütte - Bondo

Aufstieg von Bondo zur Sasc-Furä-Hütte, Klettern der Nordkante, Abstieg zur Gianettihütte, Rückmarsch nach Bondo.

  • Gesamtaufwand: 2 ½ Tage (2 Hüttenübernachtungen), Zeit in Aktion rund 25 Std.

  • Vorteil: zeitlich sinnvolle, eindeutige Etappen ohne Stress, landschaftlich sehr eindrückliche Alpinwanderung über mehrere Pässe.

  • Nachteil: langer Fußmarsch am zweiten Tag.

2) Bondo - Badile - Abseilen - Bondo

Aufstieg von Bondo zur Sasc-Furä-Hütte, Klettern der Nordkante, Abseilen über die Tour, Rückmarsch nach Bondo.

  • Gesamtaufwand: 2 ½ Tage (2 Hüttenübernachtungen), Zeit in Aktion rund 25 Std.

  • Vorteil: man spart sich sehr viel Fußmarsch und übt Abseilen (oder Notbiwaken).

  • Nachteil: man verpasst die Südseite und italienisches Hütten-Flair; unsichere Sache, wenn man die Abseilerei zeitlich nicht im Griff hat. Ggf. Biwak am Gipfel und morgens abseilen.

3) Bagni del Masino - Gianettihütte- Sasc-Furä-Hütte Badile - Gianettihütte - Bagni del Masino

Aufstieg von Bagni del Masino zur Gianettihütte, Marsch zur Sasc-Furä-Hütte, Klettern der Nordkante, Abstieg zur Gianettihütte, weiterer Abstieg nach Bagni del Masino.

  • Gesamtaufwand: 2 bis 2 ½ Tage (1 bis 2 Hüttenübernachtungen), Zeit in Aktion rund 24 Std.

  • Vorteil: der Abstiegstag ist kürzer als bei den anderen Varianten und man spart sich 300 Höhenmeter; die gesamte Unternehmung kann auf zwei Tage mit nur einer Hüttenübernachtung verkürzt werden.

  • Nachteil: Der erste Tag ist sehr lang und anstrengend (über 2000 hm im Aufstieg, 1200 hm im Abstieg).

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