Wie anzunehmen, sind die oben gestellten Fragen nicht leicht zu beantworten. Und: Wo müsste man eigentlich ansetzen? Für Andi Dick ist klar: Es sind alle Seiten gefragt. Ohne den Willen und die Verantwortung von uns „Verbraucher*innen“ wird es nicht gehen, ebenso wenig ohne das Bemühen und die Risikobereitschaft der Hersteller. Nicht zu vergessen: das „System“. Zu diesem gehören die Rahmenbedingungen wie Gesetze, die angebotenen Möglichkeiten zum Sammeln und Verarbeiten oder die Forschung und Entwicklung – wo man beim Recycling an vielen Stellen noch ganz am Anfang zu stehen scheint.
Dies ist eine Zusammenfassung. Die komplette Artikelserie ist auf bergundsteigen.com zu lesen:
„Abfall ist ein Fehler“
Bevor es ans Recyclen geht, ist die wichtigste Aufgabe, Abfall soweit möglich zu vermeiden. Jede*r Bergsportler*in sollte sich der eigenen Verantwortung bewusstwerden. Beispielsweise suggerieren viele Produkte durch verschiedene Labels ein grünes Image und geben ein gutes Gefühl beim Shopping. Aber mehr als ein reines Gewissen hat man sich damit nicht erkauft. Im Idealfall investiert man in sein neues „Lieblingsteil“ auch nach dem Erwerb viel Aufmerksamkeit. Die richtige Pflege sorgt für ein langes Leben, viele Schäden lassen sich durch umsichtigen Gebrauch vermeiden oder selbst reparieren. Und passt die 3-Lagen-Hose irgendwann nicht mehr, kann man sie auf einer Second-Hand-Plattform verkaufen oder spenden. Um unsere Bergsportausrüstung möglichst lange zu nutzen sind wir aufgefordert, Gewohnheiten aufzugeben, dazuzulernen und auch mal gegen den Strom zu schwimmen. „Abfall ist ein Fehler“ – so formuliert es Andi Dick zugespitzt. Ein Leitsatz, den man sich beim Begutachten der aus der Mode gekommenen Soft-Shell-Jacke immer aufsagen sollte. Denn man kann Vieles tun, bevor etwas auf den Müll wandert. Dabei ist der Bergsport nur ein Teil unseres Lebens, die meisten dieser Vorschläge gelten auch für andere Bereiche:
Bewusst auswählen
„100% recycelt“ ist wertvoller als „100% recycelbar“, erklärt Andi Dick. Denn recyceltes Material hat schon einen Kreislauf hinter sich. Was nur recycelbar ist, muss nicht nur korrekt entsorgt werden, es sind auch die Rahmenbedingungen notwendig, um das Material überhaupt recyceln zu können – und diese gibt es bisher, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt.
Nutzen statt kaufen
Bergsportausrüstung lässt sich zum Beispiel bei den DAV-Sektionen ausleihen. Wer neu in eine Bergsportdisziplin einsteigt, sollte immer Verleihangebote nutzen. Vielleicht liegen der Spaß und das Talent letztlich doch woanders. Außerdem können viele Produkte mit weniger Ansprüchen an deren Sicherheit, wie zum Beispiel Kleidung, Second-Hand gekauft werden.
Lange und richtig nutzen
„Schön wäre, wenn „lange getragen“ auf Social Media zum Stil-Leitbild würde“, findet Andi Dick. Sehen Flicken wirklich blöd aus, oder lässt sich daraus vielleicht eine Mode kreieren? Immerhin zeigen diese, wie sehr man an seinem Lieblingsteil hängt.
Außerdem lassen sich mit etwas Umsicht Schäden durch falschen Gebrauch vermeiden. Und die regelmäßige Pflege verlängert die Lebensdauer ungemein. Im Netz findet man erstaunlich viele Anleitungen dazu.
Reparieren
Wir sollten unsere gekauften Produkte respektvoll behandeln und Schäden, wo immer möglich, wieder ausbügeln. YouTube ist voll von Reparaturanleitungen. Vielleicht können wir hieraus eine persönliche Verpflichtung machen, schlägt Andi Dick vor. Und wenn man etwas selbst repariert, wächst man mit seinem Besitz auch emotional enger zusammen. Neben örtlichen Repair-Cafés bieten auch Outdoorgeschäfte immer öfter Reparaturservices an. Auch die Firmen sollten hier mitziehen und niedrigschwellige Angebote einrichten.
Ein „zweites Leben“ spenden
Was zu schade für die Tonne ist, könnte jemand anderen noch glücklich machen. Second-Hand-Plattformen boomen und auch einige DAV-Sektionen bieten eigene Austauschbörsen an oder veranstalten Flohmärkte. Beim Klettersteigset ist die Lebensdauer irgendwann überschritten. „Aber Karabiner und Sicherungsgerät können auch nach zwanzig Nutzungsjahren noch brauchbar sein, wenn man sie zusammen mit dem Klettersport an den Nagel hängen möchte.“
Kunststoff ist das Problem
Am Ende geht es nicht gänzlich ohne Abfall. Aber was passiert mit diesem? Kann jeder Müll gleichzeitig Rohstoff für neue Produkte sein? Das Recycling von Papier, Glas und Metallen funktioniert recht gut. Das große Problem sind die Kunststoffe. „Denn da gibt es nicht einen, sondern an die 200 verschiedene Sorten plus spezielle Rezepturen, die oft noch in Kombinationen oder gar unlösbaren Verbindungen verwendet werden“, erklärt Andi Dick. Diese bestehen aus mehreren verbundenen Materialen und müssten wieder getrennt werden, was sehr aufwändig ist. „Kunststoff ist also der Knackpunkt im Recycling“, bringt es Andi Dick auf den Punkt.
Nur das recyclen von PET-Flaschen funktioniert recht gut. Durch das Pfandsystem kommen viele Flaschen zurück, welche dann zu einem neuen Rohstoff in Form von kleinen Kügelchen aufbereitet werden. Unter anderem werden diese zu Textilstoffen verarbeitet. Aber dieser ist rar und nur 3% der Textilien weltweit bestehen daraus.
Bei Bergsport-Produkten haben wir es leider sehr selten mit sortenreinen Stoffen zu tun. Manche Firmen haben bereits Produkt-Rücknahmesysteme für Skischuhe eingerichtet, um deren Außenschalen aufzubereiten und wiederzuverwenden.
Aber nehmen wir mal einen Bergwanderrucksack: Am Rücken ein Netz, Plastikschnallen, Gummibänder zum Befestigen der Stöcke, Regenüberzug -unterschiedlichste Ausstattungsgimmicks, die wiederum aus verbundenen Materialien bestehen und sich nur aufwändig voneinander trennen lassen.
„Bei komplexen Produkten, die aus verschiedenen Materialien zusammengebaut sind, kann die sortenreine Zerlegung schwierig, aufwändig und teurer als die Produktion sein“, sagt Christoph Driever von Edelrid. Die wenigen chemischen Recyclingverfahren, die derzeit angewendet werden, benötigen viel Energie. „Wenn die Aufbereitung mehr Energie kostet als die herkömmliche Rohstoffgewinnung, scheint der Nutzen fraglich“, resümiert Andi Dick. Und am Ende sind recycelte Materialien meistens deutlich teurer als neu hergestellte – und die Produkte sind fürs Geschäft nicht attraktiv genug. Beim Recycling von Kunststoffen steht man also noch ganz am Anfang. Aber es bleibt zu wünschen, dass weitere kostengünstige Verfahren gefunden werden.
Kann nicht beim Design des Produkts die spätere Möglichkeit zum Recyceln mitbedacht werden? Diese Aufgabe ist in den letzten Jahren in der Outdoorbranche immer wichtiger geworden. Auch die Langlebigkeit und Reparierbarkeit von Produkten rückt mehr in den Fokus.
Knackpunkt recycelbare Ausrüstung
Recyclingfreundliches Design bei Bergsportausrüstung ist jedoch immer noch eine zweischneidige Sache. „Ein Rucksack muss zuerst einmal robust und haltbar sein und nicht leicht in Einzelteile zerlegbar“, erklärt Andi Dick. Noch deutlicher wird dies bei Ausrüstung wie Kletterseil, Klettergurt, Helm und Karabiner. Denn die Ansprüche an deren Belastbarkeit und Haltbarkeit wie auch an deren geringes Gewicht sind so hoch, dass recycelte Werkstoffe bisher kaum verwendet werden. Die miteinander verbundenen Materialien lassen sich nicht einfach recyceln. Aber bei Bergsportprodukten sind sie oft zu wichtig, um auf sie verzichten zu können.
Sicherlich gibt es Möglichkeiten, Materialien von PSA (Persönlicher Schutzausrüstung) in Produkte mit geringerem Qualitätsanspruch zu verwandeln. So gibt es auch einige Startups, die zum Beispiel aus alten Seilen Armreifen, Taschen oder Fußabtreter herstellen. Aber lässt sich weggeworfene Ausrüstung auch in neue verwandeln? Die Firma Edelrid setzt bei der Herstellung von Klettergurten, Schlingen und Statikseilen bereits Recyclingmaterial ein. Aber ein viele Jahre genutztes Kletterseil wieder in ein neues verwandeln? Hier steht man noch ganz am Anfang. Erste Ansätze gibt es: Edelrid bietet ein immerhin zur Hälfte aus (unbenutzten) Resten bestehendes Seil an.
Nachhaltig wirtschaften: mehr als recyceln
Sind biologische Materialien eine Lösung? Hilke Patzwall von VAUDE relativiert: „Man kann Kunstfasern aus Mais oder Zuckerrohr herstellen, aber bei umfassender Bilanzierung sind die nicht unbedingt besser. Biobasierte Kunststoffe waren ein Riesenhype, der flaut zum Glück wieder ab. Denn ganzheitlich ökologisch betrachtet ist das oft eine Milchmädchenrechnung.“ Man darf nicht nur den CO2-Verbrauch in den Blick nehmen. Bei der Produktion werden auch Flächen genutzt, die dann nicht mehr für Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. „Ähnlich wie bei Biodiesel und Biogas gilt hier, dass nicht Tank oder Textil den Teller ausbooten dürfen – „gut“ werden sie erst, wenn sie aus Abfall- oder Reststoffen hergestellt werden“, erläutert Andi Dick.
Recycling wirtschaftlich zu gestalten, ist schwierig. Aber die Outdoorbranche hat noch weitere Möglichkeiten, nachhaltig zu produzieren. Durch Energieeinsparung, kurze Lieferwege oder durch intelligente Schnittmuster, bei denen nur wenige Materialreste übrig bleiben.
Auch bei Verpackungen, so notwendig sie nicht nur zur Produktpräsentation, sondern auch beim Transport sind, lassen sich Rohstoffe sparen. „Momentan geht’s nicht ohne Kunststoff“, sagt Hilke Patzwall, aber Einsparungen seien möglich – zum Beispiel, wenn man die Bekleidung so verpackt, dass kleinere und dünnere Tüten genutzt werden können.
Schluss mit der Überflieger-Mentalität?
Die Ansprüche an Outdoorprodukte sind hoch. Können wir bescheidener werden, ohne bei der Sicherheit Einbußen in Kauf zu nehmen? Der Abfallforscher Roman Maletz plädiert für mehr „Bereitschaft zu Kompromissen bei Herstellern und Kunden, wenn Rezyklat nicht 100% gleichwertig ist“. Vielleicht können sich Bergsportler*innen wieder mit etwas dickeren Seilen und Gurten anfreunden – so wie sie früher bereits einmal waren. „Brauchen wir wirklich alles in optimaler Überflieger-Qualität?“, fragt Andi Dick. Oder sollten wir vielleicht ein bisschen Mehrgewicht in Kauf nehmen - und es mit einem guten Gefühl tragen, da wir ja Energie und Emissionen im Recyclingprozess sparen? „Bei allen berechtigten Ansprüchen an das gesellschaftliche Recycling-„System“: Wichtige Stellschrauben können wir alle selber drehen“, findet Andi Dick.
Wohin mit dem Zeug?
Gleichzeitig muss sich aber auch das „System“ wandeln. Noch gibt es keine funktionierenden Wege, ausrangierte Bergausrüstung in Wiederverwertungs-Kreisläufe einzuspeisen. Doch das sollte selbstverständlich werden. Hier muss die Outdoorbranche Angebote etablieren, die sich einfach nutzen lassen. „Also wenn wir die ausrangierten Ski, die Stirnlampe, den Schlafsack einfach in der Kletterhalle oder beim Fachhandel abgeben oder an den Hersteller zurücksenden könnten“, findet Andi Dick. Das Ganze sollte logistisch so einfach wie möglich gestaltet werden. Denn viele Rücknahme-Aktionen liefen in der Vergangenheit schnell wieder aus, da nur die wenigsten mitmachten.
Damit wir ein funktionierendes Recycling-System entwickeln, müssen alle etwas dazu beitragen. „Wir Kunden müssen mitspielen, damit sich Kreise schließen, die Hersteller haben ihren Anteil beizutragen und das System muss sich optimieren“, erklärt Andi Dick. Abfall muss als Rohstoff betrachtet werden. Spätestens jetzt sollten wir unsere ausgediente Bergsportausrüstung als solchen ansehen.