Es könnte so einfach sein. Eigentlich müssten sich die Wolken nur ein wenig lichten, um Konturen ins Whiteout zu bringen. Dann könnte man das Gelände besser beurteilen und statt der Aufstiegsspur ins Sidanjoch zu folgen vielleicht einen Gipfel mitnehmen. Doch danach sieht es nicht aus. Dichte Wolken ziehen über den Kamm und hüllen die Berge ein, dazu kommen starke Böen, die den Neuschnee verfrachten.
Der Anstieg von Hochfügen zum Sidanjoch ist für uns der Auftakt einer kurzweiligen Durchquerung der Tuxer Alpen in Ost-West- Richtung, also vom Zillertal ins Wipptal. Lohnend ist sie auch andersherum, doch dann würde die Tour mit einer langen und anstrengenden Etappe beginnen. Der Anstieg von Hochfügen ist dagegen überschaubar und auch bei schlechten Sichtverhältnissen machbar. Beim Start in Hochfügen präsentiert sich die Landschaft als Wintermärchen, mit wunderschönen Eiszapfen und frischem, locker leichtem Pulverschnee, der die Vorfreude auf die nächsten Tage steigen lässt. Doch auf den Gipfel müssen wir verzichten. „Wenn Gäste wissen wollen, wie der Berg heißt, dann sage ich‚ das ist der Gipfel“, erzählt der Zillertaler Bergführer Stefan Wierer lachend, „und dann fragen sie noch einmal nach, wie denn der Berg jetzt wirklich heißt“.
Doch die Kuppe zwischen dem Marchkopf und dem Kraxentrager heißt wirklich so: Gipfel. Ein lohnendes, keinesfalls überlaufenes Ziel und ein wunderschöner Abstecher, mit dem der Anstieg zur Rastkogelhütte zu einem vollwertigen Tourentag wird. Die stattliche Hütte steht in beneidenswert schöner Lage inmitten weiter, tief verschneiter Hänge. Im Grunde ein perfektes Ziel für Ski- und Schneeschuhtouren, auch weil der Stützpunkt bereits im Hochwinter geöffnet hat. Dennoch hält sich der Andrang in Grenzen. „Höchstens an Wochenenden kann es mal etwas voller werden“, erzählt Steffen Dammann, der seine Frau Kathleen bei der Bewirtschaftung unterstützt, „aber unter der Woche ist es relativ ruhig“.
Das ist natürlich sehr angenehm für die Gäste. Und für uns, da wir so auf dem Anstieg zum Rastkogel komplett allein sind und als erste unsere Spuren in die unberührten, heute wunderbar sonnigen Hänge legen können. Für uns absolut unerwartet, da der Rastkogel zu den Skitourenklassikern der Tuxer Alpen zählt. Doch mittlerweile nutzen viele die Rastkogel-Bahnen in Vorderlanersbach, die den Anstieg auf eine knappe Stunde verkürzen. „Das ist schon attraktiv“, schwärmt auch Stefan Wierer von der Möglichkeit, „du steigst vom letzten Lift auf den Rastkogel und fährst dann mit Gegenanstieg auf den Rosskopf über traumhafte Hänge ab nach Hochfügen“.
Auf den letzten Metern folgen wir daher der vom Skigebiet kommenden Spur – und wechseln nach kurzer Rast mit ausgezeichnetem Rundblick schnell wieder zurück in die Einsamkeit. Die Abfahrt ins Nurpenstal ist absolut unberührt, obwohl ringsum traumhafte Skihänge geradezu verführerisch in der Sonne leuchten. Einfach schön, so dass wir viel weiter abfahren als geplant. Wunderschön auch der Gegenanstieg auf den Kamm nördlich der Halslspitze, bei dem man sich einfach vom Gelände leiten lässt, geschickt die Mulden und Rücken ausnutzt und immer wieder zurückschaut auf die weiten Abfahrtshänge unter dem Rastkogel. Beim Abstecher auf die Halslspitze taucht man wieder ein ins verspurte Gelände, schließlich gehört der Gipfel zu den beliebtesten Zielen im Bereich der Weidener Hütte.
Diese ist ein beliebter Stützpunkt mit schöner, gut frequentierter Sonnenterrasse und herzlichen Wirtsleuten. Im Grunde haben sich Michael Reitmeir und Rebecca Krismer mit der Hütte einen Traum erfüllt. „Schon vor zwanzig Jahren wollte ich eine Hütte haben“, erinnert sich der Bergretter und Lawinenhundeführer, „aber heute bin ich froh, dass ich erst einmal als Geschäftsführer in einem Hotel Erfahrung sammeln konnte“. Seit dem Winter 2022/23 sind die beiden auf der Weidener Hütte und haben den Schritt noch keine Sekunde bereut. „Für mich ist die Hütte wie ein Zuhause“, schwärmt Rebecca, „und den Michael muss ich geradezu zwingen, dass er wenigstens einmal im Monat ins Tal geht – der will immer oben bleiben“.
Arbeit gibt es mehr als genug, obwohl im Spätwinter 2024 aufgrund von Schneemangel die Rodelbahn nicht mehr offen hatte. Doch die Leute kommen dennoch, auch viele Einheimische. „Da kann das Wetter noch so schlecht sein, es kommt immer jemand rauf“, freut sich Rebecca über die positive Resonanz und die vielen Stammgäste. Doch es dürfen gerne noch mehr werden. „Aufgrund des leichten bis mittelschweren Geländes ist das Gebiet ideal, wenn man mit dem Skitourengehen beginnen will“, meint Michael, „wir wollen daher gerne eine Lawinenverschütteten-Suchstation einrichten, die von der Hütte aus gesteuert werden kann, um damit für Ausbildungskurse noch attraktiver zu werden“.
Die Weidener Hütte steht quasi im Zentrum der Tuxer Alpen, die zum Skitourengehen schon immer einen guten Ruf genießen. Denn die Berggruppe füllt genau die Lücke zwischen den Kitzbüheler Alpen im Osten und dem Sellrain mit den ersten Dreitausendern im Westen. „Die Tuxer Alpen sind halt rund fünfhundert Meter höher als die Kitzbüheler und schon deutlich alpiner“, erklärt Stefan Wierer, „aber sie bieten immer noch ein fantastisch schönes, eher moderates Skitourengelände mit herrlichen Hängen in jeder Hangrichtung und Steilheit. Außerdem sind die Tuxer Alpen sehr weitläufig, so dass man immer wieder unberührte Hänge findet“.
Oder zumindest etwas abseits der Klassiker in aller Ruhe unterwegs ist. Wie gut das klappt, zeigt sich am nächsten Tag. Obwohl die Hütte gut belegt war, sind wir allein unterwegs. Fast alle haben die Halslspitze als Ziel gewählt, während wir über die schon morgens sonnigen Hänge zum Hobarjoch aufsteigen. Ein wunderbarer Aussichtsgipfel mit Traumblick auf den Hintertuxer Gletscher und den Olperer. Die vorhandenen Abfahrtsspuren zurück zur Weidener Hütte sehen verlockend aus, doch noch schöner ist der Blick vom Gipfel auf die unberührten Südhänge und die Geländekammer zwischen Hippoldspitze und Torspitze. Ein traumhaftes Skitourengebiet, doch etwas oberhalb der Vallruckalm erreicht man die Grenze des Truppenübungsplatzes Wattener Lizum – und da endet die freie Routenwahl für alle, die hier auf Skitour unterwegs sind.
Zwar findet man im Internet zig Tourenvorschläge rund um die Lizumer Hütte, doch wer sich genauer informiert, wird schnell feststellen, dass viele davon eigentlich verboten sind – Skitourengehen ist aufgrund von Schießübungen und eventuellen Blindgängern nur auf den offiziell freigegebenen Routen erlaubt. In der Praxis entdeckt man dennoch überall Spuren. Die Nordhänge der Torspitze etwa sind ein beliebtes Ziel für alle, die im Tuxer Tal starten, aber offiziell verboten. Der Übergang über das Hippoldjoch zur Lizumer Hütte ist naheliegend, aber ebenfalls verboten. Und so muss man einen gehörigen Umweg in Kauf nehmen und von der Vallruckalm zum Waxen aufsteigen, um die Hippoldspitze nordseitig zu queren. Nach der Abfahrt vom Krovenzjoch zum Außermelang Niederleger erreicht man letztlich eine freigegebene Skitourenroute – die einzige legale Möglichkeit, um von der Weidener zur Lizumer Hütte zu wechseln.
Seit dem Sommer 2019 sind Lukas Aichhorn und Tobias Spechter die Pächter des beliebten Stützpunktes, wobei sich der gelernte Koch Lukas um die kulinarischen Angelegenheiten kümmert und Tobias um alles andere. Die beiden haben sich bei der Arbeit auf einer Alpenvereinshütte kennengelernt und im Anschluss die Chance einer Bewerbung für die Lizumer Hütte ergriffen. Mit Erfolg. „Die Art und Weise, wie wir die Hütte führen, kommt ganz gut an“, freut sich Tobias, „wir haben ein gutes Team und geben unser Bestes“.
Längst herumgesprochen hat sich auch die gute Küche. „Auf einer Hütte geht es eher darum, dass man etwas findet, das beliebt ist und der großen Masse passt“, erzählt Lukas, „in diesem Rahmen bieten wir vegetarische und fleischhaltige Gerichte an“. Wichtig ist dabei die Regionalität. So kommt der Käse von einer Alm unterhalb der Hütte und das Fleisch von Kühen, Kälbern und Schweinen von Bauern im Tal, wobei die meisten Tiere ihre Sommer in der Wattener Lizum verbracht haben. „Wir machen alles frisch“, betont Lukas, „lieber machen wir einen Abstrich beim Angebot, als dass wir auf Fertigprodukte zurückgreifen“.
Das Gesamtpaket Hütte und Tourenmöglichkeiten ist äußerst attraktiv. „An den Wochenenden sind wir fast immer ausgebucht“, fasst Tobias die Nachfrage zusammen. Entsprechend gut besucht ist auch der Geier, der mit Abstand beliebteste Skitourengipfel im Umfeld. Gleich mehrere Aufstiegsspuren ziehen über die traumhaften Hänge hinauf, die skifahrerisch wirklich mehr als verlockend sind. Platz für alle gibt es am Gipfel genug, ehe man die stille Seite des Geiers entdeckt. Denn im Rahmen einer Durchquerung der Tuxer Alpen führt die Abfahrt hinunter in die Mulde des Staffelsees und nach der sportlichen Querung sehr steiler Hänge in die weiße Wunderwelt der Knappenkuchl.
Tipps für den Bergurlaub
Im Skigebiet Hochfügen sind einige Routen als Pistentouren ausgewiesen, alle Infos hier.
Beliebt ist die über sieben Kilometer lange Rodelbahn ab der Weidener Hütte.
Auch zum Schneeschuhwandern eignen sich die Hänge und Gipfel im Bereich der drei Hütten perfekt.
Mit seinem abwechslungsreich kupierten Gelände und den verlockenden Nordhängen im Kamm des Naviser Kreuzjöchl ist das Gebiet ein verstecktes Skitourenparadies, in dem man sich nach Lust und Laune austoben möchte. Es könnte so einfach sein. Doch auch hier ist die Freiheit der Routenwahl eingeschränkt und man bewegt sich schnell abseits der erlaubten Routen. Das Naviser Kreuzjöchl ist zwar ein Skitourenklassiker, doch die zigfach beschriebenen Abfahrtsvarianten über die traumhaften Nordhänge zur Klammalm sind offiziell verboten – auch wenn man vor Ort mehr als genug Skispuren sieht. Und so lassen wir schweren Herzens die Hänge links liegen und folgen dem freigegebenen Korridor über die Klammalm nach Navis. Im Grunde kein Problem. Andererseits doch ein ungewohntes Gefühl, wenn einem Grenzen gesetzt werden, die nicht direkt nachvollziehbar sind.