Gruppe von Bergrettern auf schmalem Wanderweg im Gebirge
Das Gelände stellt bei alpinen Einsätzen neben der Rettung oft auch das Kriseninterventionsteam vor Herausforderungen. Foto: Peter Musch
Im Gespräch mit: Andreas Müller-Cyran

Zuständig für die Überlebenden

Dr. Andreas Müller-Cyran gründete 1994 in München das weltweit erste Kriseninterventionsteam zur Betreuung von unverletzten Beteiligten und Angehörigen bei traumatisierenden Unfällen, Notfällen und Katastrophen. Er war federführend bei der weiteren Etablierung und Qualitätssicherung der psychosozialen Erstversorgung durch Kriseninterventionsteams, wie sie auch bei Bergwachteinsätzen seit langem dazugehört. Der gebürtige Bremer lebt in München, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und geht auch selbst gern in die Berge.

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Der Text enthält stellenweise Erwähnungen von Suizid. Speziell geschulte Menschen helfen bei der TelefonSeelsorge unter der Nummer 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222.

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Malter Roeper Malte Roeper

Ich glaube, ich habe sehr wenig Angst vorm Tod. Wäre das eine gute Voraussetzung, um in einem Kriseninterventionsteam mitzuarbeiten oder eher eine schlechte?

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Das kann eine hervorragende Voraussetzung sein – solange Sie Ihre eigene Unerschrockenheit gegenüber dem Tod nicht auch anderen Menschen zumuten. Sie haben es ja mit Menschen zu tun, die über das, was gerade passiert ist, sehr erschrocken sind und Angst haben, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Malter Roeper Malte Roeper

Nachdem ich beim Bergsteigen früher so oft knapp überlebt habe, bin ich fürs Lebendigsein so dankbar, dass ich mich – glaube ich – auch dann, wenn es morgen zu Ende wäre, nicht groß beschweren würde. Aber ich bin auch einundsechzig – wenn junge Menschen sterben, ist das immer ganz schwer hinnehmbar.

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Und wir sind ja nicht für die Verstorbenen da, sondern für die, die damit leben müssen, dass ein Mensch in ihrer Nähe gestorben ist. In unserer Arbeit geht es nicht ums Sterben, sondern immer ums Weiterleben.

Malter Roeper Malte Roeper

Was ist Ihre Vorstellung: Der Tod würfelt einfach und dann schlägt er zu? Oder ist er vorherbestimmt? Oder haben wir es doch selbst in der Hand?

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Das haben wir durchaus auch in der Hand.

Malter Roeper Malte Roeper

...Betonung auf 'auch' oder 'in der 'Hand'?

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Betonung auf 'auch'. Wenn der Tod vorherbestimmt wäre, würde das heißen, dass es da eine Logik gibt, die wir nicht verstehen. Das macht es unter Umständen leichter, als wenn ich mit einem erratischen Schicksal konfrontiert bin, wo der Zufall zum Tod führt. Aber so wahnsinnig viel gibt einem der Gedanke dann auch wieder nicht, finde ich.

Bei einem Unfall am Berg müssen neben dem Opfer oft auch unverletzte Begleitpersonen betreut werden. Foto: Wolfgang Kronwitter

Andreas Müller-Cyran ist inzwischen eher in anderen Bereichen im Einsatz, beim Bundeskriminalamt bei der Identifizierung von Leichen oder bei der Polizei in besonderen Betreuungssituationen. In München ist er etwa einmal im Monat 24 Stunden im Dienst, manchmal begleitet er auch alpine Einsätze. Sein Schwerpunkt aber liegt bei den Einsatzkräften und hinsichtlich der Krisenintervention bei größeren Schadenslagen, Transportmittelunfällen, terroristischen Attentaten oder Naturkatastrophen.

Malter Roeper Malte Roeper

Sie haben die Kriseninterventionsteams auf den Weg gebracht, später wurden auch Bergunfälle in den Kreis der zu betreuenden Notlagen aufgenommen. In welcher Form unterscheiden sich Bergunfälle hinsichtlich der Krisenintervention? Also die Art und Weise, in der Sie die Einsatzkräfte schulen und vorbereiten?

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Es gibt ein bundesweites Curriculum für die Ausbildung von Einsatzkräften in der Krisenintervention, das setzen wir auch in der Bergwacht um. Das ist das Gemeinsame. Es gibt aber auch markante Unterschiede. Ein Mitarbeiter aus der Krisenintervention muss die Umstände des Einsatzes einschätzen können, die sind natürlich alpin ganz anders als im Tal. Im alpinen Raum müssen wir keine S-Bahn-Fahrer betreuen, wenn ihnen ein Mensch vor den Zug gesprungen ist. Das sind Punkte, die in der Bergrettung nicht geschult werden, weil es einfach nicht relevant ist.

Malter Roeper Malte Roeper

Weil Suizid in den Bergen nicht vorkommt?

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Suizid kommt sehr wohl vor, aber nicht durch Sprung vor einen fahrenden Zug.

Malter Roeper Malte Roeper

Ich dachte immer, dass Suizid in den Bergen fast unmöglich wäre. Wenn es weit runtergeht und man hat Angst oder es ist kalt oder man ist erschöpft, da würde ich vermuten, dass die Überlebensinstinkte das Ruder übernehmen und man denkt: Ich lasse es erstmal ganz, oder ich mache es doch lieber unten.

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Da hat jemand einen Todeswunsch, der stärker ist als dieser Überlebenswille, von dem Sie gerade sprechen. Der Überlebenswille ist ja etwas sehr Biologisches. Den hat schon ein Regenwurm, den haben Vögel und Säugetiere und der Mensch erst recht. Aber der Mensch kann seinen Todeswunsch tatsächlich in die Tat umsetzen, wenn er durch den Trieb zum Leben nicht mehr daran gehindert wird. Wir sprechen in der Psychologie vom aggressiven Potenzial, zur Selbsttötung gehört ein bemerkenswertes aggressives Potenzial, um eben die Energie zu haben, über den natürlichen Lebenswunsch hinaus den Tod zu suchen. Das ist selten. Die häufigste Art der Selbsttötung in Deutschland ist die Strangulation. Und Strangulation in bewaldeten Gebieten gibt es leider auch im alpinen Kontext, also in Einsatzgebieten der Bergwacht.

Malter Roeper Malte Roeper

Das mag man sich gar nicht vorstellen... aber eigentlich waren wir beim Unterschied zwischen der alpinen Krisenintervention und der städtischen, z.B. hier in München.

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Im alpinen Raum sind die Betreuungsverläufe oft viel länger. In der städtischen Krisenintervention sind wir in drei von vier Situationen im häuslichen Bereich, häufig
sind es Herzinfarkte. Die sind übrigens auch am Berg die häufigste Todesursache. Aber dort sind die Einsätze oft technisch sehr viel komplexer. Das heißt, man hat in aller Regel einen Leichnam, den man ins Tal bekommen muss. Diese Einsätze sind in der Krisenintervention oft länger und komplexer als hier in München, wo meist alles unauffällig in der Wohnung stattfindet und man andere Ressourcen hat als zum Beispiel oben auf der Kampenwand.

Eine Besonderheit bei Krisen im alpinen Raum: Sowohl Opfer als auch Angehörige müssen in sicheres Gelände gebracht werden. Foto: Bergwacht Grainau

Malter Roeper Malte Roeper

Wie stelle ich mir einen typischen Einsatz im alpinen Raum vor?

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Der typische Einsatz wäre wie gesagt nach einem Herzinfarkt. Hier in München dauert es im Schnitt rund sieben Minuten, bis der Notarzt ankommt oder die ersten Einsatzkräfte. Im alpinen Kontext dauert das sehr viel länger, damit ist die Überlebensprognose von vornherein deutlich schlechter. Hinzu kommt die Zugänglichkeit der Einsatzstelle. Ist das Wetter gut genug, um fliegen zu können? Kann der Hubschrauber landen? Und dann sind da noch die Hinterbliebenen. Das sind diejenigen, die wir bei der Krisenintervention im Blick haben.

Malter Roeper Malte Roeper

Was genau übernimmt das Kriseninterventionsteam?

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Wir sind zuständig für die Überlebenden. Vor allem für das, was wir erste emotionale Stabilisierung nennen. Am Berg habe ich ja den Anspruch, die Überlebenden erstmal in einen gesicherten Bereich zu bringen. Dazu müssen sie sich selbst noch kontrollieren können, sie müssen „compliant“ sein. „Compliance“ am Berg heißt, dass jemand im absturzgefährdeten Gelände bereit ist, Anleitung anzunehmen.

Malter Roeper Malte Roeper

Wenn Sie bei der Bergwacht sind, dann sind Sie – vermute ich mal – typischerweise sowieso ziemlich resilient und belastbar. Sie machen in vielen Fällen selbst Bergsport, damit haben Sie ein starkes Gefühl von Selbstwirksamkeit. Ihre Sozialkompetenz ist gut, weil Sie Freude daran haben, sich im Team ehrenamtlich an Rettungen zu beteiligen. Und Sie sind empathisch, sonst würden Sie das sowieso nicht machen. Und das wiederum heißt, Ihnen wird normalerweise auch im eigenen Umfeld viel Empathie entgegengebracht. Und damit steht man doch schon mal ziemlich stabil im Leben – oder ist das Schwärmerei?

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Wir wechseln gerade das Thema. Vorhin ging es um das Thema Krisenintervention und überlebende Hinterbliebene, jetzt geht es um die Einsatzkräfte selbst. Und das ist natürlich noch mal was anderes. Aber mit der Hypothese, die Sie gerade aufgestellt haben, da haben Sie im Großen und Ganzen recht. Bei der Frage, wie geht es den Einsatzkräften der Bergwacht mit solchen Situationen, würde ich schon sagen, dass Einsatzkräfte insgesamt – aber gerade auch im Kontext Bergrettung – tatsächlich resilienter sind. Nicht zuletzt auch aus den Gründen, die Sie nennen.

Malter Roeper Malte Roeper

Am Berg können also für die eigentliche Notfallversorgung und für die Krisenintervention dieselben Personen zuständig sein. Im Tal kümmern sich Notärzte und Sanitäter ums Medizinische. Dann die Feuerwehr, die sich um äußere Gefahrenquellen kümmert. Und dann Psychologen. Das sind normalerweise separate Abteilungen, aber am Berg geht das so ein bisschen ineinander über?

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Es ist unten tatsächlich arbeitsteiliger. Da ist vieles spezialisierter, wobei wir in der städtischen Krisenintervention eigentlich auch nur wenig Psychologen haben, das sind überwiegend Einsatzkräfte mit einer Zusatzausbildung. Von daher ist es doch wieder ähnlich wie in der Bergwacht. In der alpinen Krisenintervention müssen die zu Betreuenden noch körperlich leistungsfähig sein, jedenfalls eine Zeit lang. Und die Verläufe sind viel komplexer und länger, man muss in der Regel ja einen Leichnam ins Tal bringen. Vor allem hat man keine sozialen Ressourcen. Im ländlichen oder städtischen Raum gibt es immer auch irgendwelche Freunde oder Nachbarn, die mit in die Situation reinkommen. Das haben wir im alpinen Kontext nicht. Dazu muss man unterscheiden, ob das Menschen sind, die in der Nähe ihres Wohnorts unterwegs sind oder Touristen von ganz woanders, wo dann im Rahmen eines Urlaubs jemand zu Tode kommt. Das ist für die Hinterbliebenen ein wesentlicher Unterschied.

Malter Roeper Malte Roeper

Gehen Sie selbst privat in die Berge?

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Ja, klar! Immer noch, das ist ein großartiges Stück Lebensqualität, wenn man in Bayern wohnt.

Malter Roeper Malte Roeper

Inwieweit spielen da Ihre beruflichen Erfahrungen mit hinein? Kommen zum Beispiel Erinnerungen an Einsätze hoch, in denen das Gelände so ähnlich aussah?

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Ich bekomme in meiner Arbeit natürlich immer eine Auswahl von Situationen, die schief gegangen sind. Daher habe ich vor jedem noch so harmlosen Schneefeld einen Heidenrespekt, weil ich weiß, wie viele Menschen bei so etwas schon umgekommen sind. Da ist schon eine gewisse Unbekümmertheit verloren gegangen.

Malter Roeper Malte Roeper

Ich merke gerade, ich habe noch gar nicht gefragt, wie Sie angefangen haben...

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Ursprünglich war ich Rettungsassistent, ich bin Rettungswagen gefahren, in München. Und da habe ich immer wieder die Erfahrung machen müssen, wie man die Hinterbliebenen allein mit der Lage zurückließ. Später bin ich Seelsorger geworden und habe dann noch Psychologie studiert.

Malter Roeper Malte Roeper

Die Zeit im Rettungswagen, war das Zivildienst?

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Nein, ich war bei der Marine, ich bin ja in Bremen geboren. Dann bin ich nach München und hatte großes Interesse an Medizin, aber um Medizin zu studieren, war mein Abitur zu schlecht. Also habe ich erstmal Philosophie studiert und beim Rettungsdienst angefangen, um mir das zu finanzieren.

Malter Roeper Malte Roeper

Und dabei haben Sie erkannt, dass diese medizinische Seite Sie doch weniger interessiert als der psychosoziale Aspekt: Was ist mit den Angehörigen?

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Die medizinische Seite interessiert mich sehr, nach wie vor. Das ist ja die wirklich substanzielle Hilfe. Wenn es mir gelingt, dass der Patient überlebt, dann brauche ich keine Krisenintervention, verstehen Sie? Aber ich habe halt immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass trotz all unserer Anstrengung der Mensch trotzdem nicht überlebt hat und dann kam für mich immer die Frage: War's das jetzt? Ist das alles? Das ging erst, nachdem ich Erfahrung gesammelt hatte, Einsatzerfahrung. Die Erfahrung eben, dass die psychosoziale Komponente immer mitläuft und dass wir in der klassischen Notfallmedizin wenig Kapazitäten und auch wenig Wissen haben, in solchen Situationen angemessen darauf einzugehen.

Für einen Einsatz in alpinem Gelände ist oft ein entscheidender Faktor, ob der Helikopter vor Ort landen kann. Foto: Fabio Keck
Malter Roeper Malte Roeper

Bei welchen Institutionen haben Sie angefangen, das umzusetzen?

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Ich war beim Arbeiter-Samariter-Bund, das ist ein kleiner Verband mit schlanken Entscheidungsstrukturen. Der Geschäftsführer hatte gleich Vertrauen in meine Idee. Und dann war auch eine sehr breite Akzeptanz da bei den Kollegen aus dem Einsatzdienst und bei der Polizei.

Malter Roeper Malte Roeper

Wie ist der Kriseninterventionsdienst heute organisiert? Wie viele Leute arbeiten mit und wie viele von denen sind hauptberuflich, wie viele ehrenamtlich?

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Bei der Bergwacht haben wir leider überhaupt kein Hauptamt. Wir haben auch keine staatliche Refinanzierung eines hauptamtlichen Rahmens. Dass das ganze Thema – außer im Kontext von Großschadenslagen, vor allem bei terroristischen Attentaten – praktisch keine Wahrnehmung hat, ist für mich ein großes Ärgernis. Aber von staatlicher Seite stellt man uns keine Ressourcen zur Verfügung.

Malter Roeper Malte Roeper

Es ist doch so offensichtlich notwendig und hilfreich bei Großeinsätzen wie nach terroristischen Anschlägen, da muss es doch genügend Anerkennung geben? So dass nicht alles durch Ehrenamt gestemmt werden muss?

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Ich habe jahrelang versucht, über den Bayerischen Landtag eine gesetzliche Normierung auf den Weg zu bringen. In der es darum geht, dass neben der Rettung von Menschenleben auch die psychosozialen Aspekte in die Gefahrenabwehr aufgenommen werden. Das ist mir leider nicht gelungen. Auch die Bergwacht hat ständig Kriseninterventionseinsätze. Im Rettungsdienst haben wir in München zwei oder drei pro Tag und das ist mit Nullkommanull refinanziert und hat Nullkommanull verbindliche Qualitätskriterien. Das ist nach dreißig Jahren auch bitter, dass man das feststellen muss.

Malter Roeper Malte Roeper

Wie viele Menschen sind in der Krisenintervention aktiv? Wie viele Personen sind da – sagen wir mal in Bayern – hauptberuflich tätig?

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Die Polizei nehme ich mal raus, die hat eine ganz andere Logik und Logistik. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: In Bayern haben wir vier Personen, die hauptberuflich in der Krisenintervention arbeiten.

Malter Roeper Malte Roeper

Nur?! Und wieviele im Ehrenamt?

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Bayernweit sind es achthundert bis tausend. Da sind aber auch Seelsorger dabei, bei denen ist es auch irgendwie beruflich.

Malter Roeper Malte Roeper

Wie sieht es denn mit den Rettungs- und Einsatzkräften generell aus? Brauchen bzw. bekommen sie – neben den Angehörigen des Unfallopfers – auch Unterstützung?

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Da gibt es eine andere Ausbildung. Das eine ist, sich um überlebende Hinterbliebene zu kümmern. Das andere, sich um eigene Einsatzkräfte zu kümmern. Die Grundidee, die Einsatzkräfte selbst als Ansprechpartner für traumatisierte, belastete Kolleginnen und Kollegen auszubilden, haben wir aus den USA übernommen. Das macht Sinn, denn Einsatzkräfte wenden sich häufig an einen Kollegen oder eine Kollegin.

Malter Roeper Malte Roeper

Gibt es bestimmte alpine Einsätze, an die Sie sich – ich will nicht sagen: gern erinnern – aber von denen Sie gern erzählen?

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Ich kann Ihnen keine konkreten Situationen nennen, weil für die Einsatzkräfte ein hohes Maß an Diskretion immer ein wichtiger Punkt ist. Bergretter sind ja auch privat alpin unterwegs, so passiert es leider auch, dass sie selbst in Unfälle verwickelt sind. Da ist die Betroffenheit besonders hoch, weil das Menschen sind, die man kennt. Oder wenn ein Kind zu Tode kommt oder wenn es mehrere Menschen trifft. Da ist es oft so, gerade auch in der Bergrettung, dass man das erst merkt, wenn der Einsatz vorbei ist. Wenn man nicht schlafen kann, wenn man nicht wieder richtig in die Normalität zurückkommt. Wie sich solche Belastungen auswirken, das ist immer wieder sehr, sehr ähnlich. Wir können belasteten Einsatzkräften erklären, dass die Veränderungen, die sie bei sich wahrnehmen, nicht besorgniserregend sind, sondern Ausdruck einer Verarbeitung dessen, was sie im Einsatz erlebt haben. Und dass diese Veränderungen sich in den meisten Fällen auch von allein wieder zurückbilden, dass sie sozusagen wieder in die Normalität zurückkommen. Es gibt aber immer einzelne Einsatzkräfte, die einen besonderen Beratungsbedarf haben – diesen stehen dann die entsprechend ausgebildeten Kollegen zur Verfügung, die aber vernetzt sind mit Psychologen oder letztlich dann auch mit einer Psychotherapie.

Malter Roeper Malte Roeper

Das heißt, auch die Leute vom Kriseninterventionsteam nehmen den ersten Impact auf. Und stehen in den folgenden Tagen bereit, bevor eventuell eine Psychotherapie oder Selbsthilfegruppe oder ähnliches beginnt. Das hat sicherlich auch technische Gründe, auf eine Psychotherapie muss man ja meistens lang warten.

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Genau, das sind die ersten stabilisierenden Gespräche, die man führt. Von der Begrifflichkeit her ist mir das wichtig, dass wir zwei Gruppen von Bedarfsträgern unterscheiden. Die Krisenintervention ist ausschließlich für Überlebende und Betroffene da, also nicht für Einsatzkräfte. Für Einsatzkräfte haben wir wie gesagt ein anderes Vorgehen, das trennen wir deutlich von der Krisenintervention, weil es nicht gut ist, das zu vermischen.

Malter Roeper Malte Roeper

Aber es gibt eine große Gemeinsamkeit: Bergwacht, Krisenintervention, Unterstützung der Einsatzkräfte selbst – das leisten fast alles Ehrenamtliche.

Porträtfoto Andreas Müller-Cyran Andreas Müller-Cyran

Das ist leider wahr.

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