Unfälle und Notfälle sinken um ein Viertel
Die Bergunfallstatistik des Deutschen Alpenvereins führt für das Jahr 2021 einen erfreulichen Trend fort: Die Un- und Notfälle unter den DAV-Mitgliedern sind im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel gesunken und haben damit erneut einen Tiefststand erreicht. Zu den häufigsten Unfallursachen zählten Stürze beim Wandern. Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Bergunfallstatistik können Sie hier nachlesen. Die Vorstellung der kompletten Statistik finden Sie unten als Video.
Die wichtigsten Aussagen kompakt
Der langfristige Trend zu geringeren Unfallquoten bei DAV-Mitgliedern setzt sich fort.
Die Zahl der Unfälle und Notfälle sank um ein Viertel im Vergleich zu 2020 – und erreicht damit erneut einen Tiefststand.
32 Tote in 2021: Damit liegen die Zahlen in etwa auf dem Stand vom Vorjahr, mit dem niedrigsten Niveau, das jemals ermittelt wurde.
Die Unfallquoten bei Bergwandern, Alpinklettern, Sportklettern, Skitourengehen und Mountainbiken bleiben in 21 etwa auf Vorjahresniveau. Lediglich beim Klettersteiggehen sind etwas weniger Unfälle als im Vorjahr zu verzeichnen.
Mit 310 Unfällen kommen nach wie vor die meisten Schadensmeldungen vom Wandern.
Stürze ohne Fremdeinflüsse sind die häufigste Unfallursache beim Wandern. Blockierungen beim Wandern gehen leicht zurück.
Im Winter 20/21 sind die Unfallzahlen stark eingebrochen. Dies kann man auf die geschlossenen Skigebiete während der Pandemie zurückführen
Rückblick: In den beiden Pandemie-Jahren 2020 und 2021 ist das Unfallgeschehen unter DAV-Mitgliedern gesunken und die Zahl der tödlich Verunglückten erreicht einen absoluten Tiefststand. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Unfallgeschehen stark von den Coronamaßnahmen geprägt war.
In den Unfallstatistiken anderer Bergsportinstitutionen zeigen sich für die alpinen Kernsportarten erhöhte Einsatzzahlen, während die Meldungen bei DAV-Mitgliedern stagnieren beziehungsweise sinken. Eine mögliche Erklärung wäre, dass anteilig mehr Nicht-Mitglieder in den Bergen unterwegs waren als früher. Scheinbar waren DAV-Mitglieder sehr defensiv unterwegs und verfügen möglicherweise über eine bessere alpine Ausbildung.
Das Unfallgeschehen 2021 im Überblick
Erneut gibt es bei den Unfallzahlen der DAV-Mitglieder 2021 relativ zu den Mitgliederzahlen einen Tiefstand: Mit insgesamt 669 sinkt die Zahl der Un- und Notfälle im Vergleich zum Vorjahr mit 935 erheblich – genauer gesagt verringert sich die Quote um 26 Prozent und damit um ein Viertel. Gleichzeitig bleibt die Anzahl der tödlich verunglückten Mitglieder etwa auf dem Stand des letzten Jahres, mit dem niedrigsten Niveau, das jemals ermittelt wurde: 32 Personen kamen im Berichtszeitraum beim Bergsport ums Leben – damit etwa vier mehr als 2020, aber noch immer weit unter dem Mittelwert der letzten 20 Jahre mit 42 Toten. "Obwohl immer mehr Menschen in den Bergen unterwegs sind und die absoluten Unfallzahlen langfristig zunehmen, nimmt die Anzahl der Toten nicht zu", so Julia Janotte von der DAV Sicherheitsforschung.
Damit setzt sich der langanhaltende Trend einer sinkenden Unfallwahrscheinlichkeit für DAV-Mitglieder fort, auch wenn die absolute Zahl der Verunfallten spätestens seit 1970 stetig ansteigt: Während zu Beginn der siebziger Jahre noch weniger als 250 Personen betroffen waren, sind in den letzten zehn Jahren jährlich weit über 1000 Meldungen eingegangen. In derselben Zeit stieg allerdings auch die Mitgliederzahl des DAV von 240.000 auf aktuell über 1,4 Millionen an. Die Quote der Unfälle bezogen auf den Mitgliederstand zeigt damit eine deutlich abnehmende Tendenz auf und erreicht 2021 einen absoluten Tiefstwert von 0,048 Prozent. Ein Grund für das Rekordtief ist der starke Einbruch der Unfallzahlen im Winter 20/21. Insgesamt wurden nur 38 Notfälle vom Pisten-Skifahren und Freeriden gemeldet, was auf den langen Lockdown, in dem die Skigebiete geschlossen waren, zurückzuführen ist. Auch beim Skitourengehen gab es einen Rückgang der Un- und Notfälle, vermutlich auf Grund von eingeschränkten Reisemöglichkeiten in Nachbarländer.
Stürze beim Wandern bergen die größte Gefahr
Wie in den Vorjahren zeigt sich auch in diesem Bergsportjahr, dass beim Wandern die meisten Unfälle passieren: Von insgesamt 669 gemeldeten Un- und Notfällen mit 32 Toten ereigneten sich hier 310 Vorfälle, 17 davon endeten tödlich. Damit handelt es sich bei knapp jeder zweiten Meldung um einen Wanderunfall! Das ist nicht verwunderlich, schließlich ist das Wandern die am häufigsten ausgeübte Sportart, wie aus einer regelmäßigen Mitglieder-Befragung im DAV-Magazin Panorama hervorgeht. Die häufigste Unfallursache beim Wandern ist übrigens der Sturz: 2021 war dies bei 60 Prozent aller Unfallmeldungen und damit deutlich häufiger als in den Vorjahren der Fall. Gleichzeitig sank die Zahl der Blockierungen leicht.
In fast allen anderen alpinen Kernsportarten, wie dem Klettern, Bergsteigen und Mountainbiken, bleiben die Zahlen zum Vorjahr etwa auf dem gleichen Niveau. Eine positive Bilanz lässt sich allerdings beim Klettersteiggehen ziehen: Wurden 2020 noch 69 Unfälle mit drei tödlich Verunglückten erfasst – ein erheblicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren –, so sind 2021 47 Unfälle, davon einer mit tödlichen Ausgang, gemeldet worden. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der hohen Quote im vorigen Jahr vielmehr um einen Ausreißer, als eine Trendumkehr hin zu allgemein steigenden Zahlen handelte.
Zusammenfassung der Corona-Jahre 2020/21
Die Jahre 2020 und 2021 standen ganz im Zeichen der Corona-Pandemie, die großen Einfluss auf das Freizeitverhalten der Menschen hatte. Die Tourenaktivität wurde durch Lockdown-Maßnahmen, Grenzschließungen (2020) und auch freiwilligen Verzicht dominiert. Vor allem während der strengen Lockdowns und Ausgangssperren hielten sich die DAV Mitglieder großteils an die Apelle von Politik und Alpenverein und waren weniger bzw. defensiver unterwegs, was sich in niedrigen Unfallzahlen während diesen Zeiträumen widerspiegelt. Im gesamten Berichtszeitraum wurden 1604 Unfälle und Notfälle mit insgesamt 2030 Betroffenen gemeldet. Das entspricht einer Verringerung der Unfallzahlen um 14 Prozent im Vergleich zu 2018/2019. Betrachtet man die Quote im Vergleich zu den gestiegenen Mitgliederzahlen, fällt diese Abnahme mit 19 Prozent sogar noch größer aus.
Das Unfallgeschehen im nationalen und internationalen Vergleich
Die DAV-Bergunfallstatistik bildet nicht das gesamte Unfallgeschehen in den Bergen ab, da sie ausschließlich DAV-Mitglieder erfasst. Im internationalen Vergleich geben andere Institutionen (zum Beispiel SAC Bergnotfallstatistik, Statistik der Alpinpolizei Österreich, Einsatzzahlen der Bergwacht Bayern) in den letzten zwei Jahren Steigerungen bei Bergunfällen in den alpinen Kerndisziplinen an, während die Unfallmeldungen der DAV-Mitglieder zurückgingen. Diese Diskrepanz ist vor allem auf das geänderte Freizeitverhalten der Menschen während der Pandemie zurückzuführen. Der Berg-Boom und die erhöhte Tourenaktivität führten zu einer Zunahme der Einsatzzahlen von Rettungsinstitutionen – demgegenüber steht kein überdurchschnittlicher Anstieg der DAV-Mitgliedszahlen. Das könnte bedeuten: "Einerseits war der Anteil an Menschen ohne entsprechende alpine Ausbildung in den Bergen vermutlich größer als sonst, was zu höheren Unfall- und Einsatzzahlen geführt haben könnte. Und andererseits scheinen die Appelle der Alpenvereine das Verhalten der Bergsportszene beeinflusst zu haben: DAV-Mitglieder waren vermutlich etwas defensiver unterwegs", erklärt DAV-Expertin Julia Janotte.
Ausblick: Klimawandel verändert den Bergsport zunehmend
Ein vorangegangener schneearmer Winter, ein warmes Frühjahr sowie ein sehr heißer Sommer mit langanhaltenden, niederschlagsarmen Schönwetterperioden sorgten im Jahr 2022 für besondere Verhältnisse, vor allem im Hochgebirge. Vorfälle wie der Gletscherabbruch an der Marmolata (3343m) in den italienischen Dolomiten sind unvorhersehbar, könnten sich durch die Folgen des Klimawandels in Zukunft aber weiter häufen, denn Wärme destabilisiert das Gebirge. Welche Auswirkung kann das auf die Bergsport-Community haben? "Bergsteiger müssen sich auf kürzere Zeitfenster, besonders für klassische Hochtouren, einstellen. Manche Touren werden teilweise schwieriger oder gar nicht mehr begehbar sein, das gilt es im Rahmen einer gründlichen Tourenplanung zu berücksichtigen." erklärt Lorenz Berker von der DAV-Sicherheitsforschung. Gerade im hochalpinen Gelände muss zunehmend mit folgenden Gefahren gerechnet werden:
Erhöhte Stein- und Eisschlaggefahr
Spaltensturzgefahr durch Aufweichen des Schnees und Kollabieren ganzer Schneebrücken
Mitreißgefahr vor allem auf (aperen) steilen Gletscherabschnitten und allgemein in Flanken
Nassschneerutsche, erhöhte Anstrengung durch tiefes Einsinken
Vermeintlich einfache Touren können zum Teil deutlich schwieriger sein als in Vorjahren oder in älteren Tourenbeschreibungen.
Hintergrundinfos zur DAV-Bergunfallstatistik
Der Deutsche Alpenverein veröffentlicht seit 1952 eine Bergunfallstatistik. Alle zwei Jahre erscheint ein umfangreicher Bericht über zwei Saisons - so auch in diesem Jahr. Der aktuelle Berichtszeitraum reicht vom 1. November 2019 bis zum 31. Oktober 2021 und umfasst je die komplette Winter- und Sommersaison in den Bergen. Datengrundlage sind ausschließlich Meldungen zu Unfällen von DAV-Mitgliedern weltweit. Daraus ergibt sich die besondere Bedeutung der DAV-Unfallstatistik: Aufgrund der über Jahrzehnte kontinuierlich erfassten Unfallzahlen können aussagekräftige Rückschlüsse auf das Unfallgeschehen – und das Unfallrisiko – in den Bergen im Allgemeinen gezogen werden. Indem die Grundgesamtheit (= Mitglieder) bekannt ist und aus Umfragen im Mitgliedermagazin "Panorama" die Expositionszeiten in den Bergsportdisziplinen zu errechnen ist, kann außerdem das individuelle Bergsportrisiko und dessen Entwicklung über einen langen Zeitraum ermittelt werden.