Die Alpen sind jetzt schon das am stärksten erschlossene und wirtschaftlich genutzte Hochgebirge der Welt. In einem engen Mosaik grenzen intensiv genutzte Siedlungs- und Wirtschaftsräume, Verkehrsflächen, Transitachsen und Skigebietsflächen an weltweit einzigartige alpine Landschaftsräume, Naturräume und Ökosysteme. Diese verbliebenen, technisch unerschlossenen alpinen Naturräume und Ökosysteme sind aber weiterhin unter Druck. Durch den Klimawandel wandern Vegetationszonen in die Höhe, Lebensräume in der Höhe werden knapper. Gleichzeitig dringen wir Menschen weiterhin technisch in diese alpine Wildnis vor, z.B. durch weitere Skigebietserweiterungen und Seilbahnerschließungen, (Forst-)Straßenbau oder große Kraftwerksprojekte.
Intakte alpine Naturräume und Ökosysteme sind unverzichtbar wertvoll für die zukünftige Entwicklung des Alpenraums:
Biodiversitätskrise meistern - Die Alpen sind ein Hotspot der Biodiversität: an kaum einem anderen Ort findet man auf engstem Raum eine ähnlich hohe Dichte an Lebensräumen von teils bedrohten Tier- und Pflanzenarten wie im Alpenraum. Durch den Klimawandel, Erderwärmung und weitere Erschließungen werden vor allem die Lebensräume für kälteliebende Tiere und Pflanzen im Hochgebirge knapper. Die Bewahrung unerschlossener Räume ist daher ein elementarer Beitrag zur Bewältigung der globalen Biodiversitätskrise.
Klimawandel stoppen - Klimakrise meistern: Intakte Naturräume und Ökosysteme sind die effektivsten natürlichen Kohlestoffspeicher, die wir auf dem Planeten besitzen. Moore und alpine Böden sind Kohlenstoffsenken und speichern effektiv und dauerhaft große Mengen an CO2. Intakte alpine Naturräume sind unverzichtbar für die Bewältigung der Klimakrise!
Erholung in der Natur - die Zukunft für einen naturverträglichen Tourismus: intakte Natur- und Landschaftsräume sind das Zukunftskapital für einen naturnahen, ressourcenschonenden und langfristig funktionierenden Tourismus.
Als anerkannter Naturschutzverband bezieht der DAV hier klare Position: Die Bewahrung dieser Naturräume für die Zukunft der Alpen ist Kernaufgabe des DAV.
Unsere Handlungsfelder und Positionen
Technische Erschließungen beenden
Der Tourismus in den Alpen ist oft an umfangreiche technische Infrastruktur im Gebirge gebunden, vor allem im Skitourismus. Neuerschließungen, großflächige Zusammenschlüsse sowie der massive Ausbau von Beschneiungsanlagen stehen nach wie vor auf der Tagesordnung. Zusätzlich soll durch den Bau künstlicher Erlebniswelten nicht zuletzt die wirtschaftliche Basis verbreitert werden.
Der DAV lehnt den weiteren Ausbau der Tourismusinfrastruktur im Alpenraum außerhalb bereits erschlossener Gebiete ab. Durch die verbindliche Festlegung klarer Ausbaugrenzen für technische Anlagen muss eine Erschließung neuer Geländekammern alpenweit verhindert werden.
Unerschlossene Räume und Wildnisgebiete raumplanerisch sichern
Die Alpen gehören zu den wenigen Landschaften in Mitteleuropa, in denen vom Menschen noch nahezu unbeeinflusste Wildnisgebiete existieren. Größere, zusammenhängende Räume, die weitgehend frei von technischer Infrastruktur sind, stellen neben ihrer Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt auch ein bevorzugtes Ziel für den Bergsport dar und sind als Lernort unverzichtbar. Die Raumordnung muss – über die eigentlichen Schutzgebiete hinaus – für den langfristigen Erhalt solcher Räume sorgen, etwa durch eine Zonierung im Sinne des bayerischen Alpenplans.
Bergwald und alpine Lebensräume erhalten
Bergwälder, Zwergstrauchheiden, alpine Rasen sowie Schutt- und Felsfluren bilden zusammen den größten Komplex natürlicher und naturnaher Lebensräume der Alpen. Diesen gilt es in seiner Gesamtheit zu erhalten.
Die Bergwälder müssen so bewirtschaftet werden, dass ihre Grundfunktionen Schutz, Lebensraum, Erholung und Holznutzung gesichert sind. Mit dem Klimawandel kommt eine weitere Stressbelastung auf Bergwälder und alpine Pflanzengesellschaften zu. Verstärkt durch eine regional nach wie vor hohe Luftverschmutzung können gravierende Schwächungen des Bergwaldes nicht ausgeschlossen werden, die weitreichende Folgen für Mensch und Natur im Alpenraum und darüber hinaus hätten. Deshalb kommt dem Schutz des Bergwaldes eine große Bedeutung zu.
Naturnahe, standortgerechte und nach ökologischen Kriterien bewirtschaftete Bergwälder sind konsequent zu fördern. Für die Holzbringung sind schonende Methoden einzusetzen. Kahlschläge von Wäldern zu Erschließungszwecken müssen künftig unterbleiben.
Ersatzflächen sind nach Möglichkeit im gleichen Wassereinzugsgebiet aufzuforsten.
Schalenwildbestände sind so weit zu reduzieren, dass sich der Bergwald mit standortgerechten Baumarten ohne Zaun natürlich verjüngen kann. Der Grundsatz „Wald vor Wild“ wird ausdrücklich unterstützt. Die Verjüngungssituation ist durch regelmäßig durchzuführende Vegetationsgutachten zu bewerten.
Die Forschung über die Auswirkungen des Klimawandels auf alpine Lebensräume und Pflanzengesellschaften muss intensiviert und alpenweit koordiniert werden. Ein alpenweites Monitoring muss auf- bzw. ausgebaut werden.
Naturnahe Gewässer erhalten und aufwerten
Die meisten Fließgewässer der Alpen sind heute nicht mehr unberührt oder naturnah. Wasserkraftwerke mit Geschieberückhalt und zu geringen Restwassermengen lassen Bäche und Flüsse eintiefen und zeitweise ganz versiegen. Hochwasserverbauungen traditioneller Art, Kiesentnahmen und die Trockenlegung von Auenlandschaften haben in den Alpen die Mittel- und Unterläufe der Flüsse weitgehend zerstört. Deshalb muss alles daran gesetzt werden, die verbliebenen naturnahen Gewässer zu erhalten und strukturell veränderte Gewässer aufzuwerten.
Gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie sind alle geeigneten Gewässer wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. Besonders die letzten auf längerer Strecke noch frei fließenden Alpenflüsse und bisher unberührte Oberläufe sind unbedingt vor technischer Verbauung zu schützen.
Renaturierungen von verbauten Bächen und Flüssen sind voranzutreiben und zu fördern, um wieder mehr Auwälder und flussbegleitende Landschaftsstreifen zu schaffen, die auch für den Hochwasserschutz und als attraktive Erholungslandschaften von Wert sind.
In Gebieten mit Wasserausleitungen sind ununterbrochen fließende Mindestwassermengen zu garantieren, die günstige Lebensräume für standorttypische Tiere und Pflanzen gewährleisten.
Schwallentleerungen aus Wasserkraftwerken müssen so erfolgen, dass sie nicht zu dauerhaften Schädigungen an Fauna und Flora führen. An Wehranlagen ist die Durchgängigkeit für Wasserorganismen und wenn möglich für das Geschiebe wiederherzustellen.
Siedlungsentwicklung lenken und Zersiedelung der Landschaft verhindern
Demografischer Wandel, globalisierte Wirtschaftsstrukturen, Klimaänderung und Energiefragen erzeugen einen hohen Anpassungs- und Entwicklungsdruck auf die Kommunen im Alpenraum. Dem muss mit einer Siedlungsentwicklung begegnet werden, die im ländlichen Raum in erster Linie auf den angemessenen Eigenbedarf der Orte ausgerichtet ist. Bauen im Bestand, zukunftsfähige Anpassung und Ergänzung vorhandener, oft auch kulturhistorisch wertvoller Bausubstanz entspricht dem in idealer Weise.
Mit Instrumenten der Raumordnung ist der Neubau von Zweitwohnungen deutlich einzuschränken und auf die Siedlungskerne zu konzentrieren. Beim Bau neuer Siedlungen, auch von Ferienwohnanlagen, Resorts, Freizeitparks usw., sollen der Flächenverbrauch gering gehalten und die Geschlossenheit der Siedlungen angestrebt werden.
Bauten und Siedlungen sollen städtebaulich und architektonisch hochwertig in Landschaft und Baukultur eingefügt werden. Energieeffizienz und ökologische Gebäudetechnik sind dabei unverzichtbar.
Ökologisch wertvolle, gefährdete, für den naturnahen Hochwasserschutz ausgewiesene sowie für die Erholung attraktive Landschaftsteile sind von Bebauung freizuhalten.
Auch die gut erschlossenen Tallagen der Alpen dürfen nicht durchgehend bebaut werden, sondern sind durch gut vernetzte Freiräume und Retentionsflächen zu gliedern.
Forst- und almwirtschaftlichen Straßenbau beschränken, Nutzung regeln und kontrollieren
Bau, Unterhalt und Nutzung von forst- und almwirtschaftlichen Straßen stehen oft im Widerspruch zu natur- und landschaftsschützerischen sowie touristischen oder ökologischen Zielen.
Neubauten sollen deshalb sehr restriktiv gehandhabt und nur nach einer sorgfältigen Umweltverträglichkeitsprüfung mit Interessenabwägung und Prüfung alternativer Möglichkeiten bewilligt werden.
Die Almen sind möglichst frei von motorisiertem Verkehr zu halten. Kfz-befahrbare Erschließungen von hoch gelegenen Almhütten, die den Almhirt*innen nur kurze Zeit als Stützpunkt dienen, sind kritisch abzuwägen.
Eine weitere Förderung des Almwegebaus ist insbesondere in den Hochlagen in jedem Einzelfall kritisch zu prüfen.
Die Erteilung von Fahrgenehmigungen ist auf den Personenkreis zu beschränken, für dessen wirtschaftliche Belange die Straße gebaut wurde. Besucherverkehr mit Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor darf auf diesen Straßen nicht gestattet werden.
Schutzflächen vernetzen und weiterentwickeln
Schutzgebiete sind Voraussetzung für den Erhalt der hohen Landschafts-, Lebensraum- und Artenvielfalt der Alpen. Sie ersetzen nicht die raumplanerische und weiter gefasste Sicherung unverfügter Räume, sondern ergänzen diese.
Das bestehende Netzwerk alpiner Schutzgebiete muss in Fläche und Substanz erhalten, wo sinnvoll und möglich erweitert und alpenübergreifend vernetzt werden, um die biologische Vielfalt zu sichern.
Das Netz der bestehenden Großschutzgebiete, die Vorgaben von Natura 2000 und die Biotopvernetzung müssen als zentrale Elemente in die alpine Raumordnung integriert sein.
In den Schutzgebieten haben Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt sowie natürlicher und kultureller Ressourcen Vorrang vor weiteren Nutzungen.
Schutzwürdige Gebiete ankaufen oder pachten
In Fällen, in denen die Raumplanung oder eine Schutzgebietsausweisung versagen und schutzwürdige Gebiete gefährdet sind, kann ein Ankauf oder eine Pacht seitens gemeinnütziger Organisationen oder der öffentlichen Hand Abhilfe schaffen. Naturschutzverbände sind zu diesem Zweck durch eine entsprechende Genehmigungspraxis sowie finanziell zu unterstützen.
Natur- und Landschaftsschäden durch Ausgleichsmaßnahmen kompensieren
Bei unvermeidbaren Eingriffen in den Naturhaushalt und in die bestehende Kulturlandschaft müssen nachteilige Folgen durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen kompensiert werden. Die gesetzlichen Vorgaben dazu sind u.a. in den Eingriffsregelungen der Naturschutzgesetze und in den Natura-2000-Richtlinien (Verschlechterungsverbot) festgelegt.
Kompensationsregelungen sollen alpenweit möglichst einheitlich angewendet und mit Umweltverträglichkeitsprüfungen verbunden werden.
Art und Umfang der Kompensationsmaßnahmen und ihre Wirkungskontrolle sind im Genehmigungsbescheid für das jeweilige Vorhaben rechtsverbindlich festzulegen.
Alle Alpenländer sind aufgerufen, ein Programm zur Kartierung und zur Beseitigung vorhandener Landschaftsschäden zu entwickeln.