Ein Neuzugang in unserer Sammlung
Worüber kann mir ein alter Eispickel heute noch Auskunft geben? Und brauchen wir den eigentlich für unsere Sammlung?
Im Frühjahr 2021 bekamen wir einen Eispickel angeboten. Er soll dem Bergsteiger Heinrich Zametzer gehört haben, Erstbegeher der Zugspitze im Winter. Ein Eispickel, der das stolze Alter von 140 Jahren besitzt und zudem auf einer alpinistisch bedeutenden Tour eingesetzt wurde? Das klingt gut. Doch was ist dran an der Geschichte? Lohnt es sich, den Pickel in unsere Sammlung aufzunehmen? Begleiten Sie mich bei meiner Recherche!
Verrostet und ein bisschen unscheinbar: Ein Pickel, der aussieht wie viele in unserer Sammlung - Haue, Spitze, Holzschaft. Auffällig höchstens seine Länge von 120 Zentimetern. Na ja. Aber die Geschichte in den Alpenvereinsmitteilungen: Heinrich Zametzer bestieg zusammen mit seinem Bruder Josef, Heinrich Schwaiger und Alois Zott am 7. Januar 1882 erstmals die Zugspitze im Winter. Am Tag zuvor waren die Vier in Partenkirchen aufgebrochen, übernachteten auf der Knorrhütte und erreichten über den Schneeferner, Felsrinnen und Schneefelder am nächsten Tag um 15.40 Uhr den Gipfel. Einen Tag später kehrten sie nach Partenkirchen zurück. Die Männer waren jung, Heinrich Zametzer, Student, 19 Jahre alt, Heinrich Schwaiger und Alois Zott ein paar Jahre älter. Sie hatten die Tour führerlos gemacht, das heißt ohne Unterstützung durch einen Bergführer, damals unüblich, heftig umstritten und erst im Kommen.
Der Schenker des Pickels, Urenkel von Heinrich Zametzer, berichtete mir mehr. 1862 war Zametzer geboren. Er arbeitete unter anderem als Amtsgerichtsdirektor in Weiden und in Kiefersfelden. 1931 starb er in Murnau, wo er, entsprechend familiärer Legende, so bestattet wurde, dass er gen Zugspitze blicken konnte. Der Schenker erzählte mir auch, dass sein Ahne der einzige Bergsteiger der Familie gewesen sei und der Pickel so nur ihm hatte gehören können. Seine Großmutter bewahrte ihn als Erinnerung auf.
Vom Boden bis zum Ellbogen
Als Nächstes befragte ich Hermann Huber, legendären Kenner der alpinen Ausrüstungsgeschichte. Von ihm kam der Tipp: Zametzers Seilgefährte Schwaiger war Gründer des ersten Spezialgeschäfts für Alpinausrüstung in München. So sei davon auszugehen, dass die Männer gut ausgerüstet waren. Und ein Blick in die Alpinpublikationen aus der Zeit zeigt: Pickel gehörten bei einer Tour im Hochgebirge dazu. Meist war das Stufenschlagen im Eis und das Sichern mit dem Pickel auf die Bergführer beschränkt. Doch da unsere Vierergruppe führerlos ging, mussten sie selbst die Pickel gebrauchen: „Von hier benützten wir nicht den gewöhnlichen Weg, sondern hielten uns über ein stark geneigtes Schneefeld, an dessen oberem Theil bereits Stufenhauen [mit dem Pickel] nöthig [war…]“. Und das Alter? Die damals eingesetzten Pickel waren länger als die, die wir heute verwenden. Ein Pickel müsse vom Boden bis zum Ellenbogen reichen, so die Alpenvereinsmitteilungen aus dem Jahre 1875. Sie wurden wie Bergstöcke auch als Geh- und Gleichgewichtshilfe eingesetzt. Erst seit den 1920er Jahren verbreiteten sich kürzere Pickel, die leichter und im steilen Gelände besser einsetzbar waren. Mit 120 Zentimetern ist der „Zugspitz“-Pickel länger als fast jeder andere unserer Sammlung. So hat er also wohl tatsächlich ein stattliches Alter.
Was lernen wir aus alledem? Der Pickel gehörte tatsächlich Heinrich Zametzer. Auf der Zugspitztour hatte er sicher einen Eispickel dabei. Ob es sich um dieses Exemplar handelte, bleibt zwar ungeklärt, doch der Pickel wirft ein Licht auf die Touren und die Ausrüstung der frühen, extremeren Alpinist*innen. – Wir haben uns für dieses Objekt entschieden. Seit kurzem bereichert der Eispickel von Heinrich Zametzer unsere Museumssammlung!
Friederike Kaiser, Alpines Museum des DAV