Maikäferballett

Die Kletterschuhe von Helmut Kiene

"Balletschuhartige Galoschen“[1] hat Reinhard Karl einmal diese Schuhe genannt. „Galoschki“ hießen sie in Russland. Aus Kautschuk gefertigt, mit Schnüren zur Sicherung an den Fersen, waren sie in den 1970er Jahren weit verbreitet. Auch wenn es heute, mit über 40 Jahren Abstand und unentwegter Ausrüstungsverbesserung anders erscheinen mag: es waren ausgezeichnete Kletterschuhe. Das hier gezeigte Exemplar sollte dabei Alpingeschichte schreiben.

"Galoschki" waren in den 1970ern weit verbreitet als Kletterschuhe. Foto: Alpines Museum/Anton Böhm

Es handelt sich um die Kletterschuhe von Helmut Kiene. Ein russischer Kletterer schenkte sie ihm 1976 auf den 1. Internationalen Kletterwettbewerben in der UdSSR (bei Gagra an der georgischen Schwarzmeerküste), an denen Kiene, Karl und Sepp Gschwendtner für den DAV teilnahmen. Ein knappes Jahr später, am 2. Juni 1977, trug sie Kiene am Südostpfeiler der Fleischbank im Wilden Kaiser. Er und Reinhard Karl kletterten eine Tour, die Kiene im Vorjahr mit Bernd Kullmann angehen wollte, sie aber wegen schlechten Wetters dem Oktoberfest opferte. Nach ihrer erfolgreichen Erstbegehung nannten sie die Route die „Pumprisse“, da sie „gepumpt“ hatten „wie die Maikäfer beim Hochzeitsflug“.[2]

Die immensen Schwierigkeiten, die die 300m lange Risskletterei mit sich brachte, hatte Kiene bereits vorab erkannt und deshalb mit Elmar Landes, dem damaligen Schriftleiter der DAV-Mitteilungen, vereinbart, einen Beitrag zur Erstbegehung zu veröffentlichen. Unter dem Titel „Eine Erstbegehung im Schwierigkeitsgrad VII“ forderte er eine Öffnung der UIAA-Skala über den bis dato als „die Grenze des Menschenmöglichen“ bezeichneten Grad VI+ hinaus, die Route selbst und deren Absicherung umfasste nur wenige Sätze des zweiseitigen Artikels. Der Beitrag und die Bestätigung der Schwierigkeiten durch Seilschaften, die die Route kurz nach Bekanntwerden wiederholten, sorgten nach intensiven Diskussionen für die Erweiterung der UIAA-Skala um den VII., wenig später um den VIII. Grad. Dieses Maikäferballett war die Abkehr von einer nach oben geschlossenen Skala, die bis dahin ein halbes Jahrhundert bestanden hatte.

Max Wagner, Alpines Museum des DAV

[1] Karl, Reinhard: Schnellklettern. Artisten an der Felswand ratlos, in: DAV-Mitteilungen 1/1977, S. 10-12, S. 10.

[2] Karl, Reinhard: Erlebnis Berg, München 1997, S. 80.