Dr. Dessauer's "Touring Taschen-Apotheke"
Besser eine kleine Apotheke immer dabei, als eine große zu Hause oder auf der Hütte.
Eine noch so gut geplante Tour in die Berge kann schnell zum Scheitern verurteilt werden, wenn sich ein*e Teilnehmer*in bei einem Sturz verletzt oder gar ein Bein oder einen Arm bricht. Aber auch die ungewohnte Ernährung auf den Hütten, plötzliche Kreislaufprobleme, Überanstrengung oder ein schlimmer Sonnenbrand können zum Abbrechen der Bergfahrt führen. Schon vor über hundert Jahren überlegten sich Bergsteiger*innen, wie man sich dagegen schützen konnte.
Um 1909 hatte der Münchner jüdische Arzt Dr. Alfred Dessauer (1875 – 1914) eine kleine handliche Taschenapotheke entwickelt, die im Wandergepäck mitgenommen werden konnte. Sie enthielt in einer Blechschachtel eine Mindestausrüstung an Verbandsstoffen für die Versorgung kleiner Verletzungen, Medikamente gegen Magen- und Darmbeschwerden, Kreislaufprobleme und Schmerzen. Beigelegt war eine kleine Handreichung mit der Beschreibung möglicher gesundheitlicher Probleme und deren Versorgung durch einen medizinischen Laien. Auch eine Adresse zur Wiederbeschaffung aufgebrauchter Materialien und Medikamente der Taschenapotheke war zu finden.
Die Apotheke wurde hergestellt in der Chemisch-Pharmazeutischen Fabrik Wilhelm Natterer, München. Der Lithograf Karl Kunst entwarf zur Werbung ein Plakat, Werbepostkarten und eine Reklamemarke. Noch 1938 wird in den Mitteilungen des DAV Dessauers Touring-Apotheke in einem Artikel über Tourenapotheken lobend erwähnt. Sie kostete 1938 7.80 RM. Dessauer hatte 1908 eine eigene Praxis als Allgemeinarzt in der Dachauer Straße in München mit einem Schwerpunkt für Haut- und Geschlechtsleiden eröffnet. Unter anderem publizierte er 1914 das Heftchen "Die mangelhafte Funktion und der Misserfolg im Geschlechtsleben des Mannes. Ein Trostwort für die Zaghaften und Schwachen von Dr. med. A. Dessauer, München."
Arzt und Bergsteiger
Dessauer war jedoch auch ein erfahrener Bergsteiger, unter anderem Erstbesteiger der Lamsenspitzen-Ostwand gemeinsam mit Paul Hübel. In den Mitteilungen des DOeAV 1908 wird über eine Notbahre berichtet, die Dessauer bei einem Unfall am Totenkirchl hergestellt hatte und seine Empfehlungen für notwendige Medikamente, die bergsteigende Ärzte bei sich tragen sollten, zum Beispiel ein Morphiumpräparat. Dessauer regte auch an, dass auf allen Hütten der von Hübel entwickelte Proviantsack mit einer Mindestausstattung an kalorienreichen Lebensmitteln für Bergsteiger vorhanden sein sollte.
Dessauer selbst war ein Tausendsassa. Nicht nur die Berge begeisterten ihn, sondern auch der Wassersport. So war er 1. Vorsitzender der 1909 gegründeten Wassersportabteilung des Deutschen Touring-Clubs. Auch mit der Schreibfeder wusste er umzugehen. Ein von ihm entworfener „Ärzteabreißkalender“ verband kommerzielle und berufliche Interessen. Daneben verfasste Dessauer fachliche Artikel zum Segeln und Bergsteigen aber auch zahlreiche bäuerliche Theaterstücke, Bergromane und zum Teil satirische Erzählungen. Zu den damals bekanntesten zählt der 1905 erschienene Band „Mit krummer Feder auf grünem Hut“.
Als Kriegsfreiwilliger zog Alfred Dessauer in den Ersten Weltkrieg. Er starb am 23. September 1914 an einer Lungenentzündung in Le Cateau-Cambrésis (Flandern).
Stephanie Kleidt, freie Ausstellungskuratorin