Bergsportrisiko so niedrig wie nie zuvor – mit einer Ausnahme
So gering war das Risiko noch nie, beim Bergsport tödlich zu verunglücken. In den Jahren 2016 und 2017 sind insgesamt 71 DAV-Mitglieder in den Bergen ums Leben gekommen, das entspricht einem Rückgang um 28% im Vergleich zum Berichtszeitraum davor. Das Unfallgeschehen beim Bergwandern erscheint vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick widersprüchlich: Die Rettungseinsätze zur Bergung unverletzter Wanderinnen und Wanderer – sogenannte „Blockierungen“ – sind deutlich angestiegen. Bemerkenswert ist schließlich eine dritte Erkenntnis aus der aktuellen Bergunfallstatistik: Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Bergsportunfällen wird immer häufiger sichtbar.
Quote für tödliche Unfälle auf Tiefststand
Im gesamten Berichtszeitraum wurden 1878 Notfälle mit insgesamt 2433 Betroffenen gemeldet. Das entspricht gegenüber den beiden Jahren des Vorberichtszeitraums einer Steigerung sowohl der Notfälle als auch der Betroffenen. In beiden Jahren ist die Mitgliederzahl jedoch stark angestiegen. Das bedeutet, dass sich für das Risiko, in einen Notfall zu geraten, eine effektive Abnahme von 2,7 % errechnet. Bei den tödlichen Unfällen (61 Unfälle mit 71 toten Mitgliedern) verringert sich die Quote sogar um 28 %. Die Quote für tödliche Unfälle ist damit für den aktuellen Berichtszeitraum die niedrigste seit Erstellung der DAV-Bergunfallstatistik in den 1950er Jahren.
Im obigen Diagramm sieht man das Risiko, beim Bergsport in einen Notfall zu geraten, im langjährigen Vergleich. Die relative Anzahl der Unfälle und Notfälle sowie der davon betroffenen Mitglieder liegt heute viel niedriger als zu Beginn der Datenerfassung in den 1950er Jahren und hat sich auf einem relativ niedrigen Niveau eingependelt. Die leichte Steigerung der Zahl der Notfälle seit ca. 2000 ist auf die steigende Zahl an Blockierungen zurückzuführen, die sich durch die mittlerweile große Verbreitung des Handys erklären lässt. Ein Handy für den Notfall befindet sich heute in fast jedem Gepäck, mehr als 80% aller Notrufe erfolgt mit dem Handy. In Notlagen kann heute einfach Hilfe geholt werden, bevor es beim Versuch, sich aus der Notlage zu befreien, zu einem schwereren Unfall mit Verletzung oder Todesfolge kommt.
Deutlich mehr Notfälle beim Wandern
Im aktuellen Berichtszeitraum kam es im Wandergelände zu 558 Unfällen und Notlagen mit 751 beteiligten Alpenvereinsmitgliedern. Hauptursache mit einem Anteil von 47 % waren Stolpern, Umknicken oder Sturz. So weit, so erwartbar. Bemerkenswert ist der Anteil an Blockierungen, auf die inzwischen 33 % aller Rettungseinsätze beim Wandern zurückzuführen sind. Dieser Anteil ist zum letzten Berichtszeitraum um die Hälfte gestiegen. Warum? Blockierungen sind Situationen, aus denen sich die Betroffenen nicht selbst befreien können, obwohl sie unverletzt sind. Etwa die Hälfte der blockierten Wanderer hatte die Orientierung verloren, in den meisten anderen Fällen spielte Erschöpfung eine große Rolle. Man darf also vermuten, dass Selbstüberschätzung und die falsche Tourenauswahl wichtige Faktoren sind, die zur deutlichen Steigerung der Blockierungen beim Wandern führen - zusammen mit dem Umstand, dass die Alarmierung der Rettungsdienste früher erfolgt als noch vor wenigen Jahren.
So wirkt sich der Klimawandel auf Bergsportunfälle aus
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpen und die Bergsportbedingungen manifestieren sich seit Jahren und Jahrzehnten: Auftauender Permafrost, Häufung von Gewittern und niederschlagsreichen Extremwetterlagen, die wiederum zu Bergstürzen und Murenabgängen führen. Auf die Unfallzahlen der DAV-Mitglieder haben diese veränderten Bedingungen bislang keinen direkten Einfluss. Lediglich die gestiegenen Blockierungen durch Erschöpfung und Dehydrierung stimmen mit den Rekordsommern 2003 und 2015 überein.
In einem Bereich ist der indirekte Einfluss des Klimawandels auf die Unfallzahlen jedoch sichtbar. Bei Hochtouren führt der Gletscher- und Firnschwund zu heiklen Geländeverhältnissen: Apere, schneefreie Gletscher sind schwerer zu begehen und bergen ein größeres Unfallrisiko. Die erhöhte Zahl von tödlichen Mitreißunfällen im aktuellen Berichtszeitraum ist beispielgebend für diese Entwicklung. Mitreißunfälle passieren insbesondere an steilen und aperen Gletscherpassagen, wenn Bergsteigerinnen und Bergsteiger mit einem Seil verbunden sind und bei einem Sturz die anderen mitreißen. Bei einem besonders tragischen Unfall in den Zillertaler Alpen verunglückten im August 2017 sechs Alpenvereinsmitglieder, da ein Mitglied stürzte und alle anderen am Seil mit sich in den Tod riss.
Die Veränderung der Bedingungen beim Hochtourengehen wird beim Blick auf den Hitzesommer 2018 deutlich: Der Rückgang des Permafrosts, apere Gletscher, Gletscherschmelze, Muren, Steinschläge und Bergstürze verändern das Hochgebirge und setzen Bergsportlerinnen und Bergsportler neuen Gefahren aus und erfordern von ihnen neue Strategien. Bergführer waren früher am Biancograt (Piz Bernina) mit bis zu drei Gästen unterwegs – heute wird in der Regel nur noch ein Gast mitgenommen. Ob die neuen Strategien bereits greifen und wie sich der Hitzesommer auf die Unfallzahlen auswirkt, wird die nächste Bergunfallstatistik zeigen.