Gunther Reichenbach geht schon lange in die Berge. Mit 20 Jahren hat er sich gemeinsam mit seinem Bruder an den E5 gemacht – und ist spätestens seitdem den Bergen verfallen. Es folgte die erste Tour nach Südfrankreich im Schlafwagen eines Nachtzuges, die ihm Anfang der 90er gemeinsam mit seiner Frau, ein unvergessliches Naturerlebnis in den damals von Ursprünglichkeit geprägten Pyrenäen, bescherte. Erlebnisse, die ihn bis heute begeistern, wie er unschwer erkennen lässt.
Zu dieser Schönheit der Bergwelt mochte für Gunther Reichenbach das Auto noch nie so recht passen: „Das kann doch nicht sein: Ich steige da auf, genieße die Einsamkeit, freue mich, wenn ich keinen Lärm mehr aus dem Tal höre und dann komme ich irgendwann runter und stürze mich wieder in diesen Verkehr, der mich dann eigentlich auch ziemlich nervt“. Also hat er sich überlegt, wie er das Auto für seine bergsportlichen Unternehmungen verzichtbar machen kann und schnell festgestellt: Es geht auch anders – und zwar insgesamt viel stimmiger.
„Ein*e Autofahrer*in denkt immer automatisch an eine Rundtour. Was aber, wenn ich das weglasse und einfach mal überlege, was ich denn sehen möchte und mich frage: Was ist die Story meiner Wanderung? Ich überwinde hier zum Beispiel drei Täler oder mache jene sechs Gipfel und komme dann in ein anderes Gebirge mit wunderschönen neuen Ausblicken, vielleicht bis zu den nächsten Grassteilhängen oder hinein in kristalline Alpen. Plötzlich komme ich zu ganz anderen Erkenntnissen und es entstehen Verbindungen".
Die Idee begeistert
Mittlerweile ist der gebürtige Passauer fester Bestandteil des Klimateams seiner Altdorfer Sektion und arbeitet kontinuierlich daran, auch anderen die vielfältigen Möglichkeiten der öffentlichen Anreise in die Berge näherzubringen. Dabei ist ihm eine Botschaft ganz besonders wichtig: Einfach mal ausprobieren und sich auf das Erlebnis einlassen!
Begonnen hatte alles mit ca. 15 öffentlich von Altdorf aus erreichbaren Touren, die Gunther Reichenbach für seine Sektion ausarbeitete. Um das dabei erlangte Wissen weiterzugeben, setzte er sich an einen Leitfaden, der die wichtigsten Tipps und Tricks für die Tourenplanung mit Öffis anschaulich zusammenfasst. Dieser Leitfaden hat inzwischen weit über seine Sektion hinaus Anklang gefunden und dient bereits vielen anderen Sektionen als Best Practice Beispiel. Doch damit nicht genug. Schnell war ihm klar, dass ein nachhaltiger Effekt nur mit einer entsprechenden Visualisierung zu erreichen sein würde. Es entstand die Idee einer „Starthüttenkarte“, die alle von Altdorf bei Nürnberg aus innerhalb eines Tages öffentlich erreichbaren Hütten abbilden sollte – inklusive Fahrplanauskunft und Nennung der Haltestellen. Und zwar so, dass das Abendessen auf der Hütte noch entspannt eingenommen werden kann, um am nächsten Morgen gut gestärkt und ausgeruht zu neuen Abenteuern aufzubrechen.
„Die Leute sind überrascht, dass es über 600 Starthütten sind“, stellt Gunther Reichenbach fest. „Zugegeben, ein paar sind dann nur mit Nachtzug möglich aber sehr viele, weit über 500 sind eben am gleichen Tag und somit ohne Talübernachtung erreichbar.“
Tourenplanung in der Praxis
Neben seiner persönlichen Überzeugung steckt in Gunther Reichenbachs Engagement aber auch viel kleinteilige, fast schon detektivische Recherchearbeit, wie er zugibt: „An Weihnachten, wo andere an ihrer Modelleisenbahn bauen, habe ich das halt gemacht. Das ist fast wie Briefmarkensammeln und hat dann auch Spaß gemacht“. Dennoch ist er davon überzeugt, dass es am Ende alles gar nicht so schwer ist. „Natürlich ist es sinnvoll, die passenden Apps zur Fahrplanauskunft und Ticketbuchung auf dem Smartphone zu haben“. Gerade bei grenzüberschreitenden Routen ist es zudem ratsam, sich vorab mit den Tarifstrukturen in den verschiedenen Ländern auseinanderzusetzen. Auch rät Gunther Reichenbach zu einer längeren Urlaubsplanung, am besten gleich eine ganze Woche oder mehr, um das Bergerlebnis voll auskosten zu können. Je mehr Zeit man mitbringt desto entspannter ist die Tourenplanung und desto mehr kann man sich wirklich auf diese Entdeckungstour einlassen. Da ist es dann auch nicht schlimm, wenn man mal etwas länger auf den nächsten Bus warten muss, so Reichenbach.
Was bringt's fürs Klima?
Bei einer Wochenendtour von Altdorf aus ins Stubaital können durch die Fahrt mit den Öffis bis zu 100 kg CO2 pro Person eingespart werden. Zudem wird auf Verkehrsmittel zurückgegriffen, die sowieso fahren. Eine höhere Auslastung von Bus und Bahn kann dabei langfristig die Klimabilanz der Öffis verbessern.
o Strecke Altdorf – Neustift im Stubaital – Altdorf: 720 km
o Emissionen Zugfahrt: 720 km * 0,032 kg CO2/km = 23,04 kg CO2
o Emissionen PKW: 720 km * 0,1699 kg CO2/km = 122,33 kg CO2
Die Reise geht weiter
Für Gunther Reichenbach ist die Entdeckungstour noch lange nicht abgeschlossen. Auf die Frage nach seinen nächsten Plänen lässt er den Blick über die eigene Sektion hinausschweifen. Er denkt bereits darüber nach, die Anreise für Standorte zu testen, die etwas weiter entfernt von den Alpen liegen: „Köln, vielleicht noch irgendwas weiter im Osten“. Er könnte sich gut vorstellen, einfach mal beispielhaft zwei Zentren auszuwählen und die erreichbaren Starthütten durchzugehen. „Sind es dann noch 200 oder vielleicht sogar mehr, vielleicht weniger? Es interessiert mich einfach...“