Einfache Berghütten – eine alte Idee mit neuen Gründen
Die Tölzer Richtlinien forderten Einfachheit auf Alpenvereinshütten und Zurückhaltung beim Bau von Hütten und Wegen. Entstanden waren die Richtlinien vor dem Hintergrund eines frühen Bergsportbooms. Sie atmen einen sehr elitären und vom aufkommenden Nationalsozialismus geprägten Geist, und sind insofern durchaus kritisch zu betrachten. Dennoch gelten einige Regelungen von damals bis heute, zum Beispiel die nächtliche Hüttenruhe oder das Recht auf Selbstversorgung. Und die Idee von der Einfachheit auf Berghütten ist immer noch lebendig – vielleicht sogar lebendiger als je zuvor. Nur sind die Gründe dafür völlig andere: An erster Stelle steht der Klimawandel, der zu einem ressourcenschonenden Betrieb zwingt. Einfachere Berghütten passen aber auch ganz grundsätzlich zu einem Verband, der sich einer nachhaltigen touristischen Nutzung der Berge verschrieben hat.
Die Beschlüsse im historischen Kontext
„Der Kern der Tölzer Richtlinien von 1923 war die Rückbesinnung auf Einfachheit”, erklärt DAV-Präsident Roland Stierle, „und die dazu geforderten Maßnahmen waren scharf.” So sollte zum Beispiel „jede Reklame für Hütten und Wege unterlassen werden”. Die Bewirtschaftung auf Hütten sei „auf das einfachste Maß zurückzuführen”, Hütten und Wege dürften nur gebaut werden, sofern es ein „zweifellos vorhandenes bergsteigerliches Bedürfnis” gäbe und „Sommerfrischler und Personen, die mit dem ausübenden Bergsteigertum nichts zu tun haben” seien von den Hütten „tunlichst fernzuhalten”.
„Die Tölzer Richtlinien muss man in ihrem historischen Kontext sehen”, sagt Max Wagner, Historiker beim Deutschen Alpenverein. Die Richtlinien hatten ihren Ursprung im ausgehenden 19. Jahrhundert, als sich das Bergsteigen zunehmend veränderte: Man suchte bewusst gefährlichere Wege auf die Gipfel, um diese „zu bezwingen”. Wagner: „Bergsteigen wurde zu etwas Heroischem, das eng mit dem Abenteurer- und Heldenbild des Kaiserreichs verbunden war.” Im Zuge der Niederlage des Ersten Weltkriegs verschärfte sich diese Anschauung. „Bergsteigen galt im Alpenverein ab spätestens 1919 als ‚Heilmittel’, um ein ‚am Boden liegendes Deutsches Volk zu neuer Stärke’ zu führen”, erklärt Wagner. Man glaubte, die Härte des Bergsteigens sollte Vorbild für die Gesellschaft sein.
„Die Richtlinien dienten vor allem der Abschreckung von ‚Nicht-Bergsteiger*innen’", so der Historiker: Kaum ein Punkt kam voll zur Anwendung - zudem wurden sie in den Folgejahren ständig verändert: Bereits 1925 musste man definieren, was eigentlich ein „Bergsteiger” sei: „Kletterer, Veteran der Berge, Jochbummler, Hochtourist, der Gebirgler und der Städter, wenn einer nur um der Berge Willen in die Berge geht.” Wagner: „Also im Grunde jede Person, die die Berge mag – und nicht nur die Elite.” Ausgehend davon wurde auch das “bergsteigerische Bedürfnis” für den Hüttenbau geklärt – mit ebenso großem Spielraum. „Es musste ein Gipfel in der Nähe sein, der bestiegen werden kann und die Hütte muss den Aufstieg dahin erleichtern oder im Vergleich zu anderen Hütten verbessern”, erklärt der Historiker.
Trotzdem waren die Tölzer Richtlinien nicht nur eine Episode aufgeheizter Gemüter im DuOeAV: Manche Punkte existieren noch bis heute, zum Beispiel die Hüttenruhe. Auf der Hauptversammlung 1937 wurden zudem das Bergsteigeressen und die Verpflichtung, ein billiges alkoholfreies Getränk anzubieten, ergänzt. Aus dem gesamten Prozess ging 1955 die „Hütten- und Wegebauordnung“ hervor. Insofern waren die Tölzer Richtlinien ein Start, eine verbindliche Raumordnung festzulegen. „Die Diskussionen darüber, wie viel erschlossen werden darf, hat einen erheblichen Teil dazu beigetragen, die alpine Natur als etwas Schützenswertes zu begreifen und den Alpenraum als endlich anzusehen”, sagt DAV-Präsident Roland Stierle.
Video: DAV-Präsident Roland Stierle über die Tölzer Richtlinien
Das Video können Sie hier downloaden und für Ihre Berichterstattung über die Tölzer Richtlinien verwenden.
Die Tölzer Richtlinien – ein Vorbild für die Gegenwart?
Auch heute ist die Diskussion über eine angemessene alpine Infrastruktur Teil des Deutschen Alpenvereins. Allerdings aus anderen Gründen: „Heute geht es neben dem Natur- und Umweltschutz und einer Anpassung an den Klimawandel vor allem um eine nachhaltige Idee von Bergsport”, sagt Stierle.
„Der Klimawandel stellt uns vor nie dagewesene Herausforderungen - und zwingt uns zu schwierigen Abwägungen”, so Stierle. Können die Sektionen des DAV künftig noch alle Hütten betreiben oder ist dies aufgrund von Wassermangel nicht mehr sinnvoll? Ist eine Hütte bergsteigerisch noch attraktiv, wenn der Gletscher, der zum Gipfel führt, verschwunden und der Weg auf den Gipfel steinschlaggefährdet ist? Lohnt es sich, Wege zu erhalten, die immer wieder durch Unwetter zerstört werden?
Neben den Anpassungen an den Klimawandel steht für den DAV auch der Schutz der Bergwelt im Vordergrund: „Wir möchten bis 2030 klimaneutral sein - und das ‚by fair means’, also durch echte CO2-Einsparung”, so Stierle und weiter, „vor diesem Hintergrund müssen wir alle Themen des DAV beleuchten.” Dazu gehöre auch die alpine Infrastruktur.
Zudem passt die Forderung nach einem nachhaltigen Umgang mit den Bergen auch gut zu unserer Gesellschaft: „Wir verbinden mit den Bergen naturbelassene Landschaft, keine zerstörerischen Eingriffe durch Straßen, Lifte oder Parkplätze. Wir genießen zum einen Ruhe und Schönheit, suchen zum anderen aber auch das sportliche Abenteuer“ erklärt der DAV-Präsident. Braucht es darum WLAN, eine fünfseitige Speisekarte oder warme Duschen? „Wer in den Bergen der Einfachheit eine Chance gibt, kann diesen besonderen Ort voll auf sich wirken lassen”, so Stierle. „Hier kann man die Natur erleben, die Elemente, die Weite; Und man versteht, dass wir als Menschen nur ein Teil dieser Welt sind - und nicht die Chefs.”
Natürlich ist die Gruppe der Berg-Fans sehr heterogen und nicht alle Hütten stehen vor den gleichen Herausforderungen. „Darum ist es sinnvoll und wichtig, dass wir differenziert die Infrastruktur anpassen – auch gegebenenfalls rückbauen –, um so den örtlichen Gegebenheiten zu entsprechen”, sagt Roland Stierle und erklärt: „Wir als Menschen sollten anerkennen, dass wir in den Bergen eine andere Welt betreten. Eine, in denen es den Luxus des Tals nicht braucht, um eine schöne, erfüllte Zeit zu haben. Die Tölzer Richtlinien von 1923 sind uns dabei Mahnmal und Grundstein zugleich.”
Info: Vom DuOeAV zu den drei alpinen Vereinen der Ostalpen
Der „Deutsche und Österreichische Alpenverein” (DuOeAV) bestand zwischen 1873 und 1938. Er entstand durch den Zusammenschluss des reichsdeutschen, des deutsch-österreichischen und des deutsch-böhmischen Alpenvereins. Durch den Anschluss Österreichs an Deutschland ging der DuOeAV im DAV auf, bis er nach Kriegsende aufgelöst wurde. Bereits 1945 gründete sich der Österreichische Alpenverein neu, 1946 wurde der Alpenverein Südtirol (AVS) gegründet und 1950 durfte auch der DAV seine Vereinstätigkeit wieder aufnehmen. Bis 1956 verwaltete der ÖAV die Hütten des DAV. Heute arbeiten ÖAV, AVS und DAV eng zusammen und bündeln ihre Aktivitäten im Hüttenbereich unter der gemeinsamen Marke „Alpenvereinshütten”.
Podcast: 100 Jahre Tölzer Richtlinien
Den Tölzer Richtlinien widmet sich auch die 49. Folge unseres Bergpodcasts unter dem Titel: „Schutzhütte oder Berghotel - Wie viel Luxus darf's sein?" Die Folge finden Sie hier und im Player unten.
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Kontakt: Franz Güntner, 089/14003-331 und franz.guentner@alpenverein.de