5. August 2020 - Ein historisches Tief: 2019 gab es in Relation zum Mitgliederstand so wenige Unfälle wie zuletzt vor 20 Jahren. Im Berichtszeitraum gerieten insgesamt 1140 Alpenvereinsmitglieder in einen Unfall oder eine Notlage. Ein Jahr zuvor waren es noch 55 mehr, also 1195 Betroffene. Bei den Unfall- und Notfallereignissen selbst zeigt sich ein noch deutlicherer Rückgang: In der Vorperiode wurden 979 Unfälle beim Bergsport gemeldet, 2019 nurmehr 877 – 102 weniger.
Allerdings listet die Statistik nicht nur erfreuliche Zahlen auf: Im Berichtszeitraum starben 54 DAV-Mitglieder beim Bergsport, 23 mehr als im Vorjahr. „Die deutliche Steigerung ist für uns überraschend, vor allem, weil es insgesamt weniger Unfälle und Notfälle gab“, erklärt der Ressortleiter für Sportentwicklung im DAV, Stefan Winter. Die meisten Todesfälle ereigneten sich beim Wandern (17), Hochtourengehen (9) und Alpinklettern (5). Großereignisse, wie etwa ganze Seilschaftsabstürze beim Hochtourengehen, gab es indes nicht. Die Steigerung der tödlich endenden Unfälle erstreckt sich über nahezu alle Bergsportarten. Die größte Zunahme betrifft das Hochtourengehen mit sechs Todesfällen mehr sowie das Outdoor-Sportklettern und -Bouldern, mit vier Toten mehr. Die Hauptursachen beim Wandern und Bergsteigen lagen nach wie vor in Stürzen und Kreislaufversagen, beim Klettern kamen zu den Stürzen Fehler in der Seil- und Sicherungstechnik hinzu.
Obwohl es so viele Tote zuletzt 2003 gab, liegt die Quote der tödlich Verunglückten trotzdem auf einem niedrigen Niveau: Vor 16 Jahren hatte der DAV rund 686.000 Mitglieder, also nur knapp die Hälfte der aktuellen Mitgliederstärke von über 1,3 Millionen. Zur Verdeutlichung: Man muss derzeit rund 2500 Jahre ununterbrochen in den Bergen unterwegs sein, um statistisch gesehen ein Mal beim Wandern zu sterben. „Wobei Statistiken natürlich kein Trost sind, wenn man selbst betroffen ist“, gibt Winter zu.
Die komplette Pressekonferenz zur Bergunfallstatistik im Replay
Zahl der Blockierungen steigt wieder an - doch nicht überall
Der Anteil von Blockierungen an den Notfallursachen stieg nach einem Rückgang 2018 wieder an, vor allem beim Wandern (+6%), Bergsteigen (+5%) und Skitourengehen (+6%). Unter den Begriff „Blockierung“ fallen all jene Notfälle, in denen Bergsportlerinnen und Bergsportler unverletzt die Bergrettung rufen müssen, etwa weil sie sich verlaufen haben oder zu erschöpft sind, um weiter oder zurück zu gehen. „Blockierungen lassen sich durch eine präzise Selbsteinschätzung und akribische Tourenplanung relativ gut vermeiden“, so Experte Winter. Der Deutsche Alpenverein hat mit der Bergwandercard (Infos zum Download) ein nützliches Tool für den Sommer entwickelt, um sich und die geplante Tour besser einschätzen zu können.
Allerdings gibt es auch hier ein positives Signal: Der Anteil von Blockierungen beim Alpinklettern ist auch in diesem Jahr gesunken – sogar um zehn Prozent!
Unfälle insgesamt rückläufig
Insgesamt gehen die Notfälle zurück: „Zum ersten Mal seit fünf Jahren sinken nun auch die absoluten Unfallzahlen“, freut sich Stefan Winter. Allerdings muss man auch hier genau die Statistik betrachten: Beim Wandern gibt es tatsächlich einen Zuwachs der Unfälle, von 276 im Jahr 2018 auf 292 im aktuellen Berichtszeitraum. „Dies ist nicht wirklich verwunderlich, seit Jahren zieht es immer mehr Menschen in die Berge und Wandern ist dabei die Hauptbetätigung“, so Winter.
Den größten Rückgang verzeichnet der Wintersport: Beim Pisten- und Backcountry-Fahren sanken die Unfallzahlen von 319 auf 258, beim Skitourengehen von 122 auf 79. „Bedenkt man, dass es sich 2019 um ein sehr schnee- und lawinenintensives Jahr gehandelt hat, in dem von vielen Unfällen berichtet wurde, überrascht uns das besonders positiv“, so Winter. Der DAV-Experte schätzt, dass der Rückgang der Zahlen auf einen höheren Ausbildungsstand und eine defensivere Tourenwahl der DAV-Mitglieder zurückzuführen sein könnte: Im Unterschied zu Statistiken der Bergrettungsorganisationen schaut die DAV-Bergunfallstatistik nur auf die DAV-Mitglieder. Allerdings: Ein Beweis für eine Trendwende sei dies noch nicht, dazu müsse man noch die kommenden Jahre abwarten, so Winter.
Ausblick: Das Corona-Jahr 2020
Corona stellte bislang ganz besondere Anforderungen an die Bergsportgemeinde und die zuständigen Behörden: Zur Hochphase der Pandemie in Deutschland war der Sport zwar nicht komplett verboten, aber die Reisefreiheit eingeschränkt, sodass tatsächlich kaum Menschen in die Berge gingen. Dies änderte sich schlagartig mit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen: Seitdem zieht es mehr Menschen denn je in die Alpen. Stefan Winter: „Es scheint, als würden viele ihren Sommerurlaub nicht im Ausland, sondern in den Bergen verbringen.“ Für den DAV-Experten und Bergführer birgt dies aber auch Probleme. „Die Alpen sind auf so einen Ansturm nicht vorbereitet, gleichzeitig erkennen wir, dass nun auch Menschen die Berge für sich entdecken, die bisher nichts mit ihnen zu tun hatten.“
Wo viele Menschen sind, steigt auch das Unfallrisiko. Der DAV appelliert darum an Bergsportlerinnen und Bergsportler, sich besonders sorgfältig auf die Touren vorzubereiten und eine defensive Tourenplanung an den Tag zu legen. Welche Auswirkungen Corona auf das Unfallgeschehen in den Bergen hat, wird die Bergunfallstatistik im nächsten Jahr zeigen.
Die „Corona-Saison" der Bergwacht Bayern
Auch für die Bergwacht Bayern war dieses Jahr bisher ungewöhnlich:
Roland Ampenberger, Pressesprecher der Bergwacht Bayern: „Der ‚Lockdown‘ im Rahmen der Coronapandemie führte zu einem starken Rückgang der Gesamteinsätze in den Monaten März und April. Im Vordergrund standen insbesondere Einsätze beim Mountainbiken und Unfälle in den Wäldern. Bedingt durch die gute Witterung und Sturmschäden in den Wäldern kam es zu einer signifikanten Steigerung der Unfälle bei Forstarbeiten. In der Sommersaison sind in den Monaten Juli und August in der Regel am meisten Einsätzen zu verzeichnen. Aktuell lässt sich dies soweit in der Wahrnehmung bestätigen. Ein fundierter zahlenmäßiger Vergleich wird nach Abschluss der Saison möglich sein.“
Podcast Bergunfallstatistik
Auch im DAV Bergpodcast geht es in der aktuellen Folge um Bergunfälle. Angela Kreß spricht mit Julia Janotte, Expertin der DAV-Sicherheitsforschung, über Zahlen und Fakten rund um Bergunfälle, über typische Unfallursachen, wie sich Unfälle vermeiden lassen und welche Auswirkungen die Coronavirus-Pandemie auf das Bergunfallgeschehen 2020 haben könnte. Außerdem erzählt Johannes Zollner von der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen von einem Rettungseinsatz im Wettersteingebirge. Das Beispiel zeigt, wie eine typische Bergrettung abläuft.
Die Bergunfallstatistik des Deutschen Alpenvereins
Der Deutsche Alpenverein veröffentlicht seit 1952 eine Bergunfallstatistik. Der aktuelle Berichtszeitraum reicht vom 1. November 2018 bis zum 31. Oktober 2019 und umfasst je eine komplette Winter- und Sommersaison in den Bergen. Datengrundlage sind ausschließlich Unfälle von DAV-Mitgliedern weltweit.
Das Factsheet zur Bergunfallstatistik sowie die PowerPoint-Präsentation von Stefan Winter finden Sie unten unter Downloads.
Die Unfallstatistik der Bergwacht Bayern
Der Deutsche Alpenverein und die Bergwacht Bayern arbeiten beim Thema „Sicherheit am Berg“ und insbesondere in der Sicherheitsforschung im Zentrum für Sicherheit und Ausbildung in Bad Tölz eng zusammen. Die Grundlage der Datenerhebung zur Unfallstatistik des Deutschen Alpenvereins stehen allerdings in weiten Bereichen nicht im Zusammenhang mit der Einsatzstatistik der Bergwacht Bayern. Die Veröffentlichung der Einsatzstatistik der Bergwacht erfolgt nicht kalendarisch, sondern aufgeteilt in eine Sommer- und Wintersaison, damit eine möglichst gute und belastbare Vergleichbarkeit der einzelnen Betrachtungsräume gegeben ist. Die Zahlen für die Sommersaison 2020 (1. Mai – 30. November) erfolgt im Dezember 2020. In dieser Statistik werden alle Unfälle in der Berg- und Höhlenrettung in den bayerischen Hoch- und Mittelgebirgen erfasst.
Service für die Presse
Bildmaterial zum Thema „Bergunfallstatistik"
Kontakt: Thomas Bucher, 089/14003-810 und thomas.bucher@alpenverein.de