Das Gipfelbuch der Lamsenspitze 1987/88
Nach einem schweißtreibenden Aufstieg oder einer schnellen Fahrt mit der Seilbahn zum Gipfel steht dem rituellen Eintrag ins Gipfelbuch nichts mehr im Wege. Eine uralte Tradition?
Ursprünglich wurden Nachrichten über einen erfolgreichen Aufstieg für die Nachfolger*innen als Beweis der (Erst-)Besteigung auf handgeschriebenen Zetteln hinterlassen, die am Gipfel in leeren Weinflaschen deponiert wurden. Später hinterließ man Visitenkarten, oft mit Angaben zur Sektionszugehörigkeit. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich Gipfelbücher durch. Anfangs versteckte man diese unter Steinen und Felsen. Sie waren dort Wind und Wetter ausgesetzt. Später wurden die Gipfelbücher in kleinen Kästen, oft aus Zinn, deponiert. Als nach dem Ersten Weltkrieg der Siegeszug der Gipfelkreuze begann, befestigte man diese meist am Kreuz. Das Gipfelbuch hatte seinen festen Platz gefunden.
Selten finden sich in den Eintragungen der Gipfelbücher literarische oder tiefgründige Inhalte. Ein „Ich war da!“, Bemerkungen zum Wetter, zum Aufstieg sind meist alles. Zuweilen wurden persönliche Eindrücke oder Empfindungen hinterlassen. Manchmal findet man Reime oder Graffitis, allzu oft ist es Nonsens. Es sind vom jeweiligen Zeitgeist geprägte „Selfies“ für die nachfolgenden Bergsteiger*innen mit kurzer Halbwertszeit.
Verfall der Sitten
Das Gipfelbuch der Lamsenspitze begrüßt uns mit einem kräftigen „BERG-GEIL“, durch eine zweite Hand adressiert „an alle DAV-Spießer“. Das Gipfelbuch beamt uns zurück in die 1980er Jahre. Man sieht sofort, wie das typische DAV-Mitglied (männlich, rote Socken, Kniebundhose und kariertes Hemd) seinen Kopf schüttelt, den Verfall der Sitten beklagt und korrigierend eingreift. Damals waren das Bergsteigen und der Alpenverein im Wandel begriffen. Die jungen Bergsteiger*innen orientierten sich am Sportklettern, der Ökoszene und am Umweltschutz. Auf den DAV-Hauptversammlungen wurden heftige Diskussionen um die Zukunft des Alpenvereins geführt. Letztlich entwickelte sich der Alpenverein auch dadurch zum Sport- und anerkannten Naturschutzverband.
Mitglieder der Sektion Oberland bargen das Gipfelbuch und übergaben es 2015 dem DAV-Archiv. Dort sind die Nachrichten von der Lamsenspitze für jeden Interessierten einsehbar. Mit dem Begriff „Geil“ provoziert man heute jedoch wohl niemanden mehr, manche sehen hingegen den vermeintlich altehrwürdigen Gruß „Berg Heil“ kritisch.
Stefan Ritter, Archiv des DAV