Ordnung muss sein!

Die Büchse der Pandora. Die Hausordnung der Payer-Hütte, 1877

Existiert heute noch eine Alpenvereinshütte ohne Hüttenordnung? Wahrscheinlich nicht. - In der Frühzeit des Alpenvereins jedoch gab es auf den Hütten eine kurze Zeit der Anarchie.

Hausordnung der Payer-Hütte, 1877. Foto: DAV Archiv

Wer schon mal auf einer Berghütte genächtigt hat, kennt die elementaren Hüttenregeln, die in den ausgehängten Hüttenordnungen veröffentlicht sind. Sie regeln das nicht immer einfache Zusammenleben auf engstem Raum. Das Betreten der Schlafräume in Bergstiefeln ist verboten, dort darf weder gekocht noch gegessen werden. Die Hüttenruhe mit den Schlafenszeiten ist auf 22 bis 6 Uhr festgelegt und seit einigen Jahren gilt ein absolutes Rauchverbot. Für die Gäste müssen die Hüttenwirtsleute ein „Bergsteigeressen“ sowie den ganzen Tag über mindestens eine warme Mahlzeit anbieten. Neben der Hüttenordnung gibt es viele weitere Gebots- und Verbotsschilder, die Besucher*innen zumeist überall in der Hütte finden können.

Viele der Regeln gehen auf Johann Stüdl zurück, Mitglied der Sektion Prag und Mitbegründer des DAV 1869, der seinerzeit maßgeblich an allen Hüttenfragen des Alpenvereins beteiligt gewesen war. Seine 1868 errichtete Stüdl-Hütte am Großglockner gilt als „Mutter“ aller Vereinshütten. Zwei Jahre nach dem Bau übertrug er die Hütte dem Bergführer Thomas Groder und gab ihm gleichzeitig zahlreiche Hinweise mit, auf was er zu achten habe, unter anderem mit einer Mausefalle „die ungebetenen Gäste fangen (aber nicht tödten)“ oder das Stroh zu erneuern.[1] Daraus entwickelten sich die ersten Regeln.

Payerhütte um 1875. Foto: Bestand der Sektion Prag / DAV Archiv

Die ersten Hüttenordnungen

1877 verfasste Stüdl für seine und die Hütten der Sektion Prag, darunter die Payer-Hütte, eine Hausordnung mit 13 Paragrafen. Diese galten als die ersten Hüttenordnungen des Alpenvereins. Grundsätzlich sei die Hütte für Touristen (= Bergsteiger*innen) da und Zuflucht Suchenden dürfe der Eintritt nicht verwehrt werden. Bei der Verteilung der Schlafplätze sei maßgeblich der Zeitpunkt des Eintreffens relevant. Bergsteigerinnen (Damen) auf Hütten waren damals nichts Ungewöhnliches, aber ihr Besuch brachte viel Organisation mit sich. Bis in alle Einzelheiten wird die Vergabe der Schlafplätze bei „Damenbesuch“ festgelegt. Geregelt wird auch der Umgang der Besucher*innen mit dem Inventar, dem Brennholz, Feuer und Licht und der Beginn der Hüttenruhe wird auf 9 Uhr abends festgelegt. Das Hüttenbuch war auszufüllen und unternommene Touren von der Hütte aus beschrieben werden, wünschenswert wäre zudem das Aufzeichnen der meteorologischen Daten. Beim Verlassen hatten die Bergführer, überwacht von den Tourist*innen, die Hütte gründlich zu reinigen. Zuletzt gab es einen Hinweis auf eine Beschwerdestelle.

Stüdl veröffentlichte eine Vorlage dieser Hüttenordnung in der Zeitschrift des DÖAV und schlug dem Hüttencomité eine minimale Version für alle Sektionen vor. Er setzte sich jedoch damit nicht durch. Ein Mitglied sah in Stüdls Hüttenordnung sogar eine „wirkungslose Polizeivorschrift“. Sie sei „eine Beleidigung aller Vereins-Mitglieder, da sie auf der Voraussetzung basiert, dass die Vereins-Mitglieder nicht selbst jenen Tact haben, nicht selbst jene Rücksichten beobachten, welche von jedem anständigen & gebildeten Menschen erwartet werden.“[1] Mein Kollege Martin Achrainer vom ÖAV bemerkte 2016 dazu treffend: „Es war dies vielleicht das letzte Mal, dass im Alpenverein für etwas keine Vorschrift erlassen wurde.“[2] Stüdl hatte jedoch mit seinem Vorschlag zu einer Hüttenordnung die Büchse der Pandora geöffnet. Die Sektionen ignorierten das Hüttencomité und erließen eigene Hüttenordnungen. Der Drang nach Regeln war stärker als das Vertrauen zu ihren Mitgliedern. Manches Regelwerk entstand schon vor dem Baubeginn der Hütte. 1893 veröffentlichte der Alpenverein schließlich doch eine zentrale Empfehlung für Hüttenordnungen, die sich eng an das Regelwerk von Stüdl anlehnte.[3] Zwanzig Jahre später kritisierte ein Besucher, dass die Anzahl der Verordnungen und Anschläge „an manchen Orten allerdings so groß ist, dass eine Stunde kaum genügt, um sie zu lesen.“[4] Heute empfinden es manche ähnlich. Der Paragraf zum Damenbesuch ist jedoch ersatzlos gestrichen worden.

 

Stefan Ritter, Archiv des DAV

 

[1] Hütten- und Wege-Comission 1877, Burghard Josef Barth, 20.4.1877. Archiv des ÖAV HÖW 10.1

[2] Martin Achrainer: Geordnete Verhältnisse, in Berg 2016, S. 83

[3] Johan Emmer: Verfassung und Verwaltung, München 1893, S. 82

[4] Josef Ittlinger: Handbuch des Alpinismus, Leipzig 1913, S. 65